Dentinrestauration
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Patienten, die Termine nicht wahrnehmen, belasten immer mehr Praxen. In Völklingen ergreift ein internistisches Zentrum nun eine besondere Maßnahme – und erhebt Pfandgebühren. Auch ein Kinderarzt will es nicht mehr hinnehmen, dass Patientinnen und Patienten Termine einfach sausen lassen.
Ein internistisches Zentrum mit den Schwerpunkten Gastroenterologie, Kardiologie und Diabetologie in Völklingen hat vor einiger Zeit die Reißleine gezogen. Wer zweimal ohne guten Grund einen vereinbarten Termin schwänzt, muss entweder lange Wartezeiten hinnehmen oder 50 Euro Pfand für eine neue Reservierung hinterlegen.
„Manche Patienten schimpfen, bei einigen hat es aber durchaus einen erzieherischen Effekt“, berichtet Praxischef Dr. Thomas Stolz über das ungewöhnliche Experiment, mangelnder Termintreue zwar auch über den Geldbeutel, aber ohne Zusatzeinnahmen zu begegnen.
Damit trifft ihn auch die Unterstellung nicht, mit der GKV-Pressereferent Helge Dickau auf die Forderung des KBV-Vorsitzenden Dr. Andreas Gassen auf eine finanzielle Kompensation für No-shows reagiert hatte. Nach Dickaus Auffassung wäre dies ein „immer tieferer Griff in die Taschen der Beitragszahlenden“ mit der Folge „eines weiteren Zusatzverdienstes für eine Berufsgruppe, die schon jetzt zu den Spitzenverdienern gehört“.
Stolz hat jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass praktisch alle, die 50 Euro als Sicherheit abgeben, dann auch wirklich zum neuen Termin erscheinen. Sie bekommen ihr Geld selbstverständlich zurück.
Doch ist das Problem tatsächlich so gravierend? Lange Wartezeiten auf einen Termin beim Facharzt, andererseits deren Klagen über Ausfallzeiten – Außenstehende fragen sich ungläubig, wie das zusammenpasst.
Dank einer KV-Umfrage im Saarland, an der sich über 37 Prozent der Praxen beteiligten, ist das Ausmaß des Missstands jedoch nicht mehr wegzudiskutieren. Danach wurden – hochgerechnet auf alle saarländischen Arzt- und Psychotherapeutenpraxen – innerhalb des zweiten Quartals 2023 etwa 120.000 mit den Patienten vereinbarte Termine ohne Absage nicht wahrgenommen. Hinzu kommen rund 80.000 Termine, die meist kurzfristig abgesagt wurden.
In einer allerdings weniger repräsentativen Online-Umfrage der KBV haben sogar 69 Prozent der über 2.000 Teilnehmer von Problemen mit nicht abgesagten Terminen berichtet. Und schon zuvor hatte die KV Bremen besorgniserregende Zahlen präsentiert: Danach wurde im ersten Halbjahr 2022 jeder fünfte über ihre Terminservicestelle vermittelte Termin ohne Absage sausen gelassen.
Noch eindrucksvoller erscheinen die Aussagen über den Zeitverlust, der durch mangelnde Termintreue entstanden ist. Dazu äußerten sich 378 der 478 Saar-Praxen, die an der Umfrage teilnahmen. Sie schätzten oder dokumentierten 16.274 Stunden, die durch Ausfallzeiten der Ärztinnen und Ärzte, der Geräte für bestimmte Untersuchungen oder dem erhöhten Aufwand des Praxisteams verloren gegangen sind. Durchschnittlich ergibt dies pro Praxis und Quartal jeweils gut 42 Stunden oder pro Monat – bei der Annahme von 25 Sprechstunden – einen Zeitverlust von 2,8 Tagen.
In der Feinanalyse zeigt sich, dass die Fach- und Kinderärzte von dem Problem etwa doppelt so stark betroffen sind wie Hausärzte, die Termin-Ausfälle leichter kompensieren können, weil die Wartezimmer meist auch ohne Anmeldung voll sind. Auch die Psychotherapie-Praxen meldeten geringere Leerlaufzeiten als die Fachärzte. Ein möglicher Grund: Bei ihnen werden Termine häufiger wenigstens kurzfristig abgesagt als einfach „geschwänzt“.
Diese Ausnahme gilt auch für die Radiologie-Praxen. Allerdings sind dort die Konsequenzen aus den von acht Standorten gemeldeten rund 1.000 nicht abgesagten Terminen pro Quartal gravierend: Laut KV bekommen allein in diesen Praxen rund 18 Patienten pro Tag deshalb keinen Termin für ein MRT oder CT. So hat beispielsweise eine Radiologie-Praxis für das untersuchte Quartal wegen nicht wahrgenommener Termine 42 Stunden Leerstand ihres MRT ermittelt.
Wie die detaillierte Aufstellung des Zentrums von Dr. Stolz zeigt, schützen auch Erinnerungsanrufe nur begrenzt vor den Ausfällen. Zwar ließen sich durch Recall eine Woche vor dem Termin einige böse Überraschungen vermeiden, wenn sich etwa die Patienten teilweise gar nicht mehr an die Vereinbarung erinnerten oder diese sich anderweitig erledigt hatte.
Dennoch wurden trotz ausdrücklicher Bestätigung bei den Anrufen zahlreiche Termine unentschuldigt nicht wahrgenommen, darunter kardiologische Untersuchungen, Gastroskopien und Koloskopien.
Die Ausfälle belasten aber nicht nur Fachärzte mit beträchtlicher apparativer Ausstattung. Kinderarzt Dr. Benedikt Brixius reserviert gerne frühe Termine für Vorsorgeuntersuchungen, um diese Kinder von den kranken in der anschließenden Sprechstunde fern zu halten.
Eine gründliche U3-Untersuchung bedeute für die Homburger Einzelpraxis einen Zeitaufwand von etwa 1,5 Stunden, rechnet Brixius vor. Obwohl die Eltern am Tag zuvor telefonisch, per Mail oder SMS erinnert würden, erschienen manche nicht. „Wer zweimal nicht gekommen ist, erhält eine sehr klare Ansage“, schildert Brixius sein Vorgehen. Außerdem sei der nächste Termin mit Wartezeiten verbunden.
Wer zweimal nicht gekommen ist, erhält eine sehr klare Ansage.
Dr. Benedikt Brixius, Kinderarzt aus Homburg
„Wir legen Wert auf Regeln“, unterstreicht Brixius. Selbstverständlich mache man in schwierigen Fällen schon einmal eine Ausnahme. Wenn beispielsweise Menschen intellektuell überfordert seien, nehme sein Team sie bestmöglich an die Hand. Allerdings müsse er aufpassen, sich und seine Mitarbeiterinnen nicht physisch und psychisch zu überfordern.
Doch wie kann man über praxisindividuelle Schutzmaßnahmen hinaus mit dem Problem umgehen? Nicht nur für den saarländischen KV-Chef Professor Harry Derouet und seinen Vize Thomas Rehlinger steht der Appell an die Eigenverantwortlichkeit der Patienten an erster Stelle.
Deutschland habe weltweit die höchste Zahl an Arzt-Patienten-Kontakten, gleichzeitig fehlten die dafür notwendigen Ressourcen schon jetzt. „Wir können es uns nicht leisten, das System durch mangelnde Termintreue zusätzlich zu strapazieren“, betonen Derouet und Rehlinger.
Bei anhaltender Problematik müsse deshalb über Sanktionen und Eigenbeteiligungen nachgedacht werden – einen Schritt, den KBV-Chef Gassen bereits gegangen ist mit seinem Vorschlag, zumindest für nicht wahrgenommene TSS-Termine Gebühren zu erheben und über die Krankenkassen den geschädigten Praxen oder Kliniken gutzuschreiben.
Auch wenn prominente Kassenvertreter Verständnis für den Verdruss bei Ärzten äußern und unsolidarisches Verhalten von Terminschwänzern verurteilen, setzen sie erst einmal auf die Einsicht der Betroffenen.
So richtet der IKK-Vorsitzende Professor Jörg Loth an sie den Appell, sich klarzumachen, dass sie mit ihrem Verhalten das Kontingent an Patienten-Sprechstunden beschnitten und zudem Kosten verursachten, die am Ende den Geldbeutel der Solidargemeinschaft belasten.
Loths Fazit: „Bevor wir als ultima ratio also tatsächlich über Eigenanteile und Ausfallhonorare zum Schutz der Versichertengemeinschaft diskutieren müssen, sollte sich jeder nochmal seiner Verantwortung bewusst sein“.
Die AOK-Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann kann ebenfalls den Ärger vieler Praxen „gut nachvollziehen“. Ihre Rezepte eines „guten Terminmanagements und elektronischer Erinnerungsservices im Vorfeld“ scheinen jedoch nur sehr begrenzt zu helfen, wenn man sich vor allem die Ausfälle von TSS-vermittelten Terminen vor Augen hält.
Die Politik hat sich in der Debatte bisher noch weitgehend zurückgehalten. Eine Ausnahme ist der FDP-Bundestagsabgeordnete und Arzt Professor Andrew Ullmann. Auch er spricht von einem „großen Ärgernis“, bezweifelt aber, ob Ausfallgebühren eine Verhaltensänderung bewirken könnten. Ullmanns Rat: Besser sei es, zunächst zu untersuchen, warum Patienten Termine nicht wahrnehmen.
Die Praktiker können ihm da offenbar schon einige Gründe nennen, die auf ein Abbröckeln gesellschaftlicher Konventionen hindeuten. „Das Kind hat halt noch geschlafen“, bekam Brixius schon zu hören. Und Rehlinger berichtete von einem Fall, in dem bei mehreren Kardiologen Termine erbeten und schließlich der wahrgenommen wurde, der sich am besten mit dem Friseurtermin vereinbaren ließ.
Er wolle keine generelle Patientenschelte betreiben, so Rehlinger. Aber aus seiner Allgemeinarztpraxis sei ihm bei einigen Menschen eine Mentalität, die er mit „kostet ja nichts und es passiert ja auch nichts“ beschreibt, nicht ganz fremd. Schon deshalb halte er eine Eigenbeteiligung in irgendeiner Form für unumgänglich.
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