Praxismanagement
Ein internistisches Zentrum mit den Schwerpunkten Gastroenterologie, Kardiologie und Diabetologie in Völklingen hat vor einiger Zeit die Reißleine gezogen. Wer zweimal ohne guten Grund einen…
6 Minuten Lesezeit
Aus Patientensicht, so der MD Bund, ist es nicht hinnehmbar, dass die Politik in Deutschland keinerlei Bestrebungen zeige, ein obligates Meldesystem für Never Events einzuführen – etwa im Zuge des zu novellierenden Patientenrechtegesetzes.
Bei der noch ausstehenden Novellierung des Patientenrechtegesetzes, dessen zehnjähriges Bestehen in Berlin im Februar auch von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) gefeiert wurde, sollte unbedingt eine Meldepflicht für Never Events verankert werden, wie diese bereits in mehreren OECD-Staaten, wie zum Beispiel den USA, Kanada oder auch den Niederlanden, etabliert worden sei. Dies forderte Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender Medizinischer Dienst (MD) Bund, am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung der Jahresstatistik 2022 zur Behandlungsfehlerbegutachtung.
Unter Never Events resümiert Gronemeyer „besonders schwerwiegende Schadensereignisse. Dazu gehören zum Beispiel Patienten- und Seitenverwechslungen, vergessenes OP-Material und folgenschwere Medikationsfehler. Solche Fehler tauchen in unserer Statistik jedes Jahr auf und sie sollten für die Fehlerprävention genutzt werden.“
Die Einführung eines Systems zur Meldung von Never Events sei auch, wie Gronemeyer betonte, im Globalen Aktionsplan der WHO als Ziel verankert. Demnach sollten 90 Prozent der Länder bis spätestens 2030 ein Meldesystem für Never Events einführen. In Richtung Lauterbach monierte er: „Aus Patientensicht ist es absolut nicht hinnehmbar, dass die Politik keinerlei Bestrebungen zeigt, dieses wichtige Ziel in Deutschland umzusetzen. Sowohl die Patientinnen und Patienten als auch die Ärztinnen und Ärzte müssen auf eine qualitativ hochwertige Versorgung vertrauen können, in der die Sicherheit an erster Stelle steht. Das sollte auch in Deutschland selbstverständlich sein.“
Solche Never Events seien zwar seltene Ereignisse. Sie spielten jedoch eine bedeutende Rolle in der Sicherheitskultur. „Denn wenn solche Fehler passieren, dann weist das in der Regel nicht auf das Versagen Einzelner hin. Diese Ereignisse zeigen, dass Risiken im Versorgungsprozess bestehen und die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort unzureichend sind. Deshalb sind diese Ereignisse für das Erkennen, Umsetzen und Bewerten von Sicherheitsmaßnahmen von zentraler Bedeutung“, so Gronemeyer.
Um auch hierarchischen Limitationen im Klinikalltag gerecht zu werden – zum Beispiel im Sinne des Hinweises eines Assistenzarztes auf einen möglicherweise von einem Oberarzt begangenen Fehler –, sollten Kliniken Speak-up-Systeme wie in Großbritannien etablieren, wo Meldungen hierarchieneutral erfolgen könnten. Voraussetzung für den Erfolg eines verpflichtenden Meldesystems sei zudem, dass die Never Events pseudonymisiert und sanktionsfrei gemeldet werden können. Nicht die Frage, wer was getan habe, sondern die Frage, warum und wie etwas passiert ist, sei für die Prävention von Bedeutung. Die Meldungen müssten des Weiteren für das Ziel der Prävention völlig losgelöst von haftungsrechtlichen Fragen erfolgen. Sie dürften ausschließlich der Verbesserung der Patientensicherheit dienen, so Gronemeyer.
Aus Anlass der Vorstellung der Jahresstatistik der Behandlungsfehler forderte Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, am Donnerstag die Novellierung des Patientenrechtegesetzes ein. „Wir wissen aus der täglichen Beratung unserer Versicherten, dass Patientinnen und Patienten, die einen Behandlungsfehler vermuten, nach wie vor große Probleme haben, ihre Rechte durchzusetzen. Es gibt zu hohe Hürden bei der Beweisführung, oft lange Verfahrensdauern und Probleme bei der Schadensregulierung. All diese Barrieren müssen endlich abgebaut und die Rechte der Patientinnen und Patienten gestärkt werden. Die AOK-Gemeinschaft fordert eine Weiterentwicklung des Patientenrechtegesetzes von 2013.“
13.059 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern hat der Medizinische Dienst im Jahr 2022 erstellt, hieß es weiter in Berlin. In jedem vierten Fall sei ein Fehler und ein Schaden festgestellt worden, in jedem fünften sei der Fehler Ursache für den erlittenen Schaden gewesen. Die Zahlen sind keineswegs repräsentativ für das Fehlergeschehen in Deutschland, da sie nur den Kassen gemeldete Fälle beinhalten. Auf Nachfrage verdeutlichte Gronemeyer, dass die betrachteten Fälle wahrscheinlich nur ein Prozent der Realität abbildeten.
Zwei Drittel der Vorwürfe (8.827) bezogen sich auf Behandlungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern. Ein Drittel der Vorwürfe (4.208) ist dem ambulanten Bereich zuzuordnen, wie Professor Christine Adolph, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende und Leitende Ärztin Medizinischer Dienst Bayern, erklärte. Wesentliche Ursache für diese Verteilung sei, dass sich die meisten Behandlungsfehlervorwürfe auf operative Eingriffe bezögen. Da Operationen vorwiegend in Kliniken stattfänden, seien sie häufiger von einem Behandlungsfehlerverdacht betroffen.
Schaut man sich die Vorwürfe verteilt auf die Fachgebiete an, ergibt sich folgendes Bild:30,3 Prozent aller Vorwürfe (3.960 Fälle) bezogen sich auf Orthopädie und Unfallchirurgie, 12,2 Prozent auf Innere Medizin und Allgemeinmedizin (1.599 Fälle), 8,8 Prozent auf Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1.143 Fälle), 8,7 Prozent auf Allgemein- und Viszeralchirurgie (1.133 Fälle), 7,7 Prozent auf Zahnmedizin (1.006 Fälle) und 6,4 Prozent auf die Pflege (834 Fälle).
Adolph warnt hier allerdings vor falschen Schlüssen: „Die Häufung von Vorwürfen in den einzelnen Bereichen lässt keinerlei Rückschlüsse auf die Sicherheit in dem jeweiligen Fachbereich zu. Die Häufung von Vorwürfen sagt auch nichts über die Fehlerquote aus. Sie zeigt lediglich, dass Patientinnen und Patienten auf Behandlungsergebnisse reagieren, wenn diese nicht ihren Erwartungen entsprechen. Erlebt eine Patientin nach einer Hüftoperation, dass ihre Zimmernachbarin, die ebenfalls eine neue Hüfte erhalten hat, viel schneller wieder auf die Beine kommt, dann kann das zu einem Behandlungsfehlerverdacht führen.“
Bei knapp zwei Drittel (60,5 Prozent) der begutachteten Fälle sind laut MD Bund vorübergehende Schäden entstanden. Das heißt, ein Krankenhausaufenthalt musste verlängert werden oder eine Intervention war notwendig. Die Patientinnen und Patienten sind jedoch wieder vollständig genesen. Bei über einem Drittel (35 Prozent) der Fälle wurde ein Dauerschaden verursacht. Dabei unterscheidet man zwischen leichten, mittleren und schweren Schäden.
Ein leichter Dauerschaden kann zum Beispiel eine geringe Bewegungseinschränkung oder eine Narbe sein. Ein mittlerer Dauerschaden kann eine chronische Schmerzsymptomatik, eine erhebliche Bewegungseinschränkung oder die Störung einer Organfunktion bedeuten. Ein schwerer Dauerschaden kann vorliegen, wenn Geschädigte pflegebedürftig geworden sind ─ wenn sie aufgrund eines Fehlers andere schwere Schädigungen erleiden. In rund drei Prozent der Fälle (84 Fälle) habe ein Fehler zum Versterben der Patientin oder des Patienten geführt oder wesentlich dazu beigetragen.
Der Dekubitus (L89) führt die vom MD Bund im Jahresbericht 2022 ausgewiesenen 30 häufigsten ICD-Diagnosen mit einer Fehlerquote von 63,1 Prozent (Behandlungsfehler in 198 von 314 Fällen bestätigt) an. Die 30 Top-Positionen machten allerdings nur 41,5 Prozent aller vorgeworfenen Fälle und nur 2,9 Prozent aller verschiedenen Behandlungsanlässe aus. Insgesamt seienen Vorwürfe zu 1.019 verschiedenen Diagnosen (ICD dreistellig) erhoben worden. Auf den zweiten Platz im Ranking kommt der Bruch im Bereich des Handgelenkes und der Hand (S62) mit 53,3 Prozent bei 90 Verdachtsfällen, gefolgt vom Bruch des Unterarms (S52) mit 41,8 Prozent bei 170 Verdachtsfällen.
In 66,5 Prozent der Fälle steht eine nach OPS-Schlüssel kodierbare Maßnahme in direktem Zusammenhang mit dem Vorwurf. Hier führt die Implantation einer Hüftgelenksprothese (5-820) mit 137 festgestellten Fehlern die Top 30 an, gefolgt von der Implantation einer Kniegelenksprothese (5-822) mit 102 und der Wurzelspitzenresektion und Wurzelkanalbehandlung eines Zahnes (5-237) mit 85 Fällen.
Melden Sie sich jetzt an und erhalten Sie exklusiven Zugang zu: