Praxismanagement
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Apotheker fürchten Retaxationen, Ärzte ärgern sich über „überbürokratische“ Kassen: Auch zwei Monate nach dem Start des E-Rezepts ist das Problem mit dem Feld der Berufsbezeichnung nicht gelöst. Die Politik versucht zu vermitteln.
Berlin. Der Streit über das Feld „Berufsbezeichnung“ auf dem elektronischen Rezept (E-Rezept) schwelt auch zwei Monate nach dem offiziellen Start des E-Rezepts weiter. Nun versuchen das Bundesgesundheitsministerium und einzelne Bundestagsabgeordnete, zwischen den Akteuren der Selbstverwaltung vermittelnd einzugreifen.
Hintergrund ist, dass Ärztinnen und Ärzte das Feld Berufsbezeichnung im Freitext ausfüllen können, das heißt, bei der formalen Prüfung eines E-Rezepts auf dem Server fallen auch sinnlose Berufsbezeichnungen wie „Dachdecker“, „xyz“ oder beliebige andere Begriffe nicht weiter auf. In der Apotheke jedoch fallen solche Bezeichnungen auf, denn dort ist die penible Prüfung aller Kassenrezepte eine seit Jahren gelebte Übung, weil erfahrungsgemäß Krankenkassen jede kleinste Unkorrektheit nutzen, um ein Rezept zu retaxieren. Das heißt, im Zweifel erhält die Apotheke trotz erbrachter Leistung und eigentlich nachgewiesenen Anspruchs des Versicherten auf die Leistung kein Geld.
Deshalb fordert die ABDA, die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, seit Anfang Januar eine Friedenspflicht der Krankenkassen, damit Apotheker E-Rezepte mit offensichtlich falscher Berufsbezeichnung ohne Sorge vor Retaxationen beliefern können. Denn ändern können sie das Feld nicht, der Aufwand, Patienten zurück in die Praxis zu schicken, damit ein neues E-Rezept mit korrekter Berufsbezeichnung erstellt wird, ist aber für alle Beteiligten unnötig hoch. Einzelne Krankenkassen haben daraufhin Apothekern zugesichert, auf Retaxationen bei fehlerhaften E-Rezepten zu verzichten. Doch eine generelle Friedenspflicht für alle Krankenkassen wurde noch nicht vereinbart.
In einem Antwortschreiben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf einen Brief des Bundestagsabgeordneten und Fachmanns für digitale Gesundheit Matthias Mieves (SPD) zu den initialen Problemen beim E-Rezept kündigt der Minister an, nach Lösungen für das Problem zu suchen, zum Beispiel durch „die Umwandlung des Datenfelds von einem Freitextfeld zu einem strukturierten Datenfeld oder die Möglichkeit er Korrektur des Datenfelds durch die Apotheke, wie es auch bei analogen Rezepten möglich ist“.
In einem strukturierten Datenfeld könnten Ärzte beim Ausfüllen des E-Rezepts nur zwischen vorgegebenen Begriffen auswählen. Das Schreiben liegt der Ärzte Zeitung vor.
Der freie IT-Berater und Ex-gematik-Mitarbeiter Mark Langguth sieht in dem Problem „ein Musterbeispiel, warum Digitalisierung bei uns nicht funktioniert“. Digitalisierung werde „nicht aus dem Bedarf und dem Nutzen, sondern aus juristischer Perspektive gedacht“, so Langguth auf Anfrage der Ärzte Zeitung. Diese Betrachtungsweise führe zu einer „maximalen Risikovermeidung und zu Blockaden“, aber auch dazu, dass vor allem der eigene Vorteil gesehen werde.
Ein Beispiel dafür, wie Akteure im Gesundheitswesen, den eigenen Vorteil sehen, könnte für Krankenkassen die Chance auf Retaxation von E-Rezepten sein, die nicht zu 100 Prozent korrekt ausgefüllt sind. Und genau das bringt den Bundestagsabgeordneten Mieves auf die Palme: „Die Apotheker haben es verdient, dass das E-Rezept zuverlässig Spaß macht“, so Mieves. „Die Retax darf kein Show-Stopper für das E-Rezept sein.“
In einem Schreiben des BMG an die Spitzenorganisationen von Krankenkassen, Ärzten, Zahnärzten und Apothekern fordert das Ministerium die Selbstverwaltung auf, „die Herausforderung Berufsbezeichnung“ zu lösen – zum einen, indem „gemeinsam eine Friedenspflicht“ hinsichtlich der Berufsbezeichnung als möglichem Retaxationsgrund vereinbart wird. Eine „unverschuldete Belastung der Apotheker“ solle verhindert werden. Auch den „großen zusätzlichen Aufwand bei den Arztpraxen“, wenn Apotheker wegen eines Fehlers im Feld Berufsbezeichnung um eine neue Verschreibung bitten, möchte das Ministerium vermeiden helfen. Das „Deutsche Ärzteblatt“ hatte zuerst über das Schreiben vom 20. Februar berichtet.
Die Selbstverwaltung wird daher vom BMG aufgefordert, „einen abschließenden Katalog möglicher Berufsbezeichnungen zu erstellen“, um eindeutige Vorgaben für das entsprechende Feld im E-Rezept zu ermöglichen – für ein dann strukturiertes Datenfeld.
Der gemeinsamen Forderung von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und ABDA, das Datenfeld Berufsbezeichnung einfach zu löschen beziehungsweise einfach „nicht zu einem amtlichen Problem zu machen“, entspricht das Ministerium nicht. Möglich wäre das deshalb, weil Ärztinnen und Ärzte E-Rezepte mit der Qualifizierten elektronischen Signatur (QES) unterschreiben – mithilfe des E-Arztausweises. „Damit ist eindeutig ersichtlich, dass die verordnende Person ein Arzt oder eine Ärztin ist“, so Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der KBV. Die Umwandlung des Datenfeldes „verkompliziert“ das Verfahren. „Schade, dass die Krankenkassen sich hier so überbürokratisch gebärden“, schreibt Steiner auf Anfrage der Ärzte Zeitung.
Insgesamt sieht das Bundesgesundheitsministerium das E-Rezept „in der Versorgung angekommen“. 1,3 Millionen eingelöste E-Rezepte pro Werktag bewiesen dies „eindrücklich“. 50 Prozent aller Verordnungen würden bereits als E-Rezept ausgestellt. Das Ministerium kündigt in der Antwort auf den Brief von MdB Matthias Mieves weitere Schritte an, um Probleme, die dieser in seinem Schreiben identifiziert hatte, zu beheben. Unter anderem bekräftigt das Ministerium die Pläne, für die Betreuung „chronisch kranker Versicherter mit kontinuierlichem Arzneimittelrezeptbedarf eine jahresbezogene hausärztliche Versorgungspauschale“ einzuführen. Dadurch solle der Anreiz zur Einbestellung der Patientinnen und Patienten ausschließlich für Folgerezepte wegfallen. Das E-Rezept mache genau das möglich. „Wenn wir wegkommen von der Quartalslogik, kann das E-Rezept richtig erfolgreich werden“, kommentiert Mieves das Vorhaben.
Weitere Pläne zur Verbesserung der Abläufe rund um das E-Rezept hat das BMG in der Schublade. So ermögliche das Digitalgesetz Versicherten, ihren Anspruch auf Leistungen über eine elektronische Ersatzbescheinigung nachzuweisen. Diese soll in Zukunft von der Krankenkasse über den TI-Messenger an den Leistungserbringer übermittelt werden. Noch gibt es den TI-Messenger allerdings gar nicht, der Start hat sich mehrfach verzögert. Es wird aber im Laufe des Jahres mit ersten Anbietern gerechnet, die zugelassen werden können.
Ebenso steht es um die geplante Anbindung von Pflegeheimen an die Telematikinfrastruktur (TI). Denn vorgesehen ist laut BMG, dass Ärzte in Zukunft E-Rezepte über das sichere E-Mail-Verfahren Kommunikation im Medizinwesen (KIM) an Pflegeheime übermitteln. Von dort könnten sie dann an Apotheken weitergeleitet werden. Voraussichtlich werden die Heime im kommenden Jahr an die TI angeschlossen. Geprüft werde im Ministerium aber auch „ob und inwieweit eine Vereinfachung des Prozesses möglich ist, ohne Anreize für Missbrauchsoptionen zu setzen“, heißt es vom BMG. Hintergrund ist hier, dass der direkte Versand aus der Praxis in die Apotheke der gesetzlich vorgesehenen freien Apothekenwahl für jeden Patienten widersprechen würde.
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