
Praxismanagement
Die Ermittlungsbehörden haben immer häufiger mit vermuteten Behandlungsfehlern zu tun. Ein Staatsanwalt erläutert, wie Ärztinnen und Ärzte Fehler vermeiden können – und sich Strafverfahren verhindern…
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Warteschleife, Dauerklingeln, Anrufbeantworter: Das Praxispersonal ist häufig so überlastet, dass es Anrufe nicht mehr entgegennimmt. In der Schweiz haben Kollegen ihr Telefon sogar ganz abgeschafft. Eine Blaupause für Deutschland?
Patienten brauchen aktuell viel Geduld. Seit Wochen berichten Medien darüber, dass in vielen Arztpraxen niemand ans Telefon geht. Die Gründe sind vielfältig: Überlastetes Personal, das ständig unter Zeitdruck steht, ein hohes Anrufaufkommen durch Infektwellen und immer weniger niedergelassene Ärzte. Ein Dermatologe aus dem schweizerischen Aargau hat laut Nachrichtenportal NAU sogar beschlossen, das Praxis-Telefon gänzlich abzuschaffen.
Termine können nur noch digital vereinbart werden, heißt es. Der Hautarzt begründet seine Entscheidung mit mehr „Effizienz“. Er finde schlichtweg nicht genug Personal, das Telefondienst schieben könne. Und damit ist der Aargauer nicht der einzige: Auch im baden-württembergischen Waldshut an der Schweizer Grenze kann man eine Arztpraxis nur noch über eine spezielle App kontaktieren.
Arztpraxen ohne Telefon – kann das funktionieren? Rein rechtlich betrachtet sind diejenigen, die auf einen Telefonanschluss verzichten, zumindest auf der sicheren Seite. Zwar müssten niedergelassene Mediziner für ihre Patienten erreichbar sein, heißt es von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auf Nachfrage. Aber ein Telefonanschluss ist dafür nicht zwingend Voraussetzung. „Dies kann auf multimedialen und unterschiedlichen Kanälen geschehen“, so ein Sprecher. Maßnahmen, die eine Erreichbarkeit ausschließen, seien in Deutschland aber natürlich nicht gewollt.
Auch Alexander Kowalski von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen betont, dass es in Deutschland keine Verpflichtung gebe, telefonisch erreichbar zu sein. Er verweist auf das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), das Vertragsärzten und -psychotherapeuten lediglich vorschreibt, mindestens 25 Sprechstunden pro Woche anzubieten. Während dieser Zeit hätten die Patienten ja die Möglichkeit, die Praxis aufzusuchen.
Und selbst wenn die Praxis über einen Telefon-Anschluss verfüge, sei dies noch längst kein Garant dafür, dass dort auch jemand den Hörer in die Hand nehme, so Kowalski. Häufig fehle es den niedergelassenen Medizinerinnen und Medizinern an Personal, um das Telefon zuverlässig zu bedienen. Medizinische Fachangestellte seien heutzutage ein knappes Gut und würden von den Ärzten daher vorzugsweise für die Arbeit am Patienten eingesetzt.
Aber: Ärztinnen und Ärzte sollten nicht vorschnell ihren Anschluss kündigen. Denn es gibt Situationen, in denen sie zwingend telefonisch erreichbar sein müssen. Zum Beispiel, wenn sie Videosprechstunden außerhalb ihrer Praxisräume anbieten wollen. Dann greift nämlich die neue Anlage 31c zum Bundesmantelvertrag: Gemäß Paragraf 8 müssen Ärzte und Praxen für diesen Fall eine telefonische Erreichbarkeit zu den Praxis-Öffnungszeiten gewährleisten.
Bei den Patienten sorgt die Nicht-Erreichbarkeit für großen Unmut. Vor allem Ältere fühlen sich benachteiligt und häufig mit digitalen Tools beispielsweise zur Terminbuchung überfordert. Laut einer Mitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) nutzen rund sieben Millionen Menschen über 60 Jahre in Deutschland das Internet nicht.
Hinzu kämen diejenigen, die zwar online seien, sich komplexere digitale Anforderungen aber nicht zutrauten. BAGSO-Vorsitzende Dr. Regina Görner hält eine telefonische Erreichbarkeit von Arztpraxen für zwingend geboten. „Ärzte tun sich keinen Gefallen, wenn sie ihren Anschluss abschaffen“, sagt sie im Gespräch mit der Ärzte Zeitung. Schließlich hätten diejenigen, die zum Hörer greifen, ein akutes Problem, für das sie eine Lösung suchten. „Allein schon, um zu klären, ob es sich bei den Beschwerden um einen Notfall handelt, ist ein persönliches Gespräch wichtig.“
“Solange Institutionen nicht niederschwellig zugänglich sind, müssen sie analoge Lösungen anbieten.“
Regina Görner, BAGSO-Vorsitzende
Görner ist davon überzeugt, dass ein rein digitaler Kontakt die MFA auch nicht wirklich entlastet. „Wenn alle Patienten statt anzurufen, persönlich in der Arztpraxis auftauchen, spart niemand Zeit.“ Eine direkte Kommunikation ist aus ihrer Sicht wesentlich für ein vertrauensvolles Arzt-Patientenverhältnis – außerdem fördere es die Gesundheit.
Grundsätzlich versuche die BAGSO, möglichst viele Menschen dazu zu bewegen, digital unterwegs zu sein. „Auch weil so viele Apps schlecht und unausgereift sind, braucht es immer noch eine Alternative.“ Sie hat die Erfahrung gemacht, dass auch zunehmend jüngere Menschen ungern mit Avataren sprechen. Ihre Forderung: Solange Institutionen nicht niederschwellig zugänglich sind, müssen sie analoge Lösungen anbieten.
Christoph Sander von der Sander Concept GmbH für Praxismarketing empfiehlt Arztpraxen allein schon aus finanziellen Gründen, ihre telefonische Erreichbarkeit sicher zu stellen. Denn: „Unter den Anrufern können auch potenzielle Neu-Patienten sein. Wenn diese in der Praxis niemanden erreichen, rufen sie woanders an.“
In der Zahnmedizin beispielsweise kämen auf jede Praxis im Idealfall zehn bis 20 Neupatienten pro Monat, erläutert der Praxisökonom. Diese würden auch benötigt, schließlich falle ungefähr die gleiche Anzahl an Patienten weg durch Tod oder Umzug, erläutert er. Ein Prinzip, das sich durchaus auch auf die Humanmedizin übertragen lasse.
„Nehmen wir einmal an, dass jeder Patient der Praxis im Jahr etwa 500 Euro bringt. Geht eine Praxis im Monat bei zehn potenziellen neuen Patienten nicht ans Telefon, wären dies 120 „verlorene“ Patienten pro Jahr. Wenn diese potenziellen Neu-Patienten tatsächlich zu einer anderen Praxis abwandern, verpuffen bis zu 60.000 Euro, die man eigentlich hätte einnehmen können.“ Besonders fatal sei die Nicht-Erreichbarkeit dann, wenn Ärzte extra Geld für Werbemaßnahmen ausgeben, um Neukunden zu gewinnen. „Dann war die ganze Mühe umsonst.“
Ebenso wie Regina Görner sieht auch Christoph Sander das Vertrauensverhältnis in den gesamten Berufsstand zerstört, wenn in Arztpraxen niemand ans Telefon geht. Dies betreffe Neu- und Bestandspatienten gleichermaßen – egal, ob sie älter oder jünger sind. Sein Tipp: Fehlt es den Medizinern an Personal für den Telefondienst, sollten sie zumindest über den Anrufbeantworter einen Rückruf-Service anbieten oder die Patienten mit Hilfe von KI vernünftig steuern.
Quelle: www.aerztezeitung.de
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