Praxismanagement
Die Ermittlungsbehörden haben immer häufiger mit vermuteten Behandlungsfehlern zu tun. Ein Staatsanwalt erläutert, wie Ärztinnen und Ärzte Fehler vermeiden können – und sich Strafverfahren verhindern…
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Auch wenn es keinen öffentlichen Kommentar der KZBV zum Ampel-Aus in Berlin gibt, dürfte sich dort Erleichterung breitmachen mit Blick auf vorgezogene Neuwahlen. Bei der Vertreterversammlung und im aktuellen Geschäftsbericht dominieren die Klagen über die Digitalisierung des Gesundheitswesens á la Lauterbach samt stets wachsender Bürokratie in den Praxen. In der Kritik steht auch das IQTiG.
Am 6. November startete in Bonn die zweitägige Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) in Bonn. Wohl nicht ahnend, dass am späteren Abend desselben Tages mit der Entlassung des Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP) durch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das Aus der Ampel-Koalition inklusive vorgezogener Neuwahlen besiegelt werden würde, hatten sich die drei KZBV-Vorstandsmitglieder auf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingeschossen. Mit viel Witz und bitterem Sarkasmus ging es in ihren Reden nicht nur um die offensichtliche Beratungsresistenz des Genossen in puncto Gesundheitsgesetzgebung inklusive Digitalisierung des Gesundheitswesens.
„Sie alle kennen das katastrophale Ende der ersten Fahrt der Titanic im April 1912. Der Begriff der ‚Unsinkbarkeit‘, der damals wie heute mit der Titanic in Verbindung gebracht wird, spielt dabei eine große Rolle. Wenn wir nun an den Beginn der jetzigen Ampel-Regierung zurückdenken, dann bin ich mir sicher, dass sich die selbsternannte Fortschrittskoalition damals auch für ‚unsinkbar‘ gehalten hat“, äußerte sich KZBV-Chef Martin Hendges.
Sein Vize Dr. Karl-Georg Pochhammer brachte es so auf den Punkt: „Als Wiege der deutschen Demokratie, aber auch als Regierungssitz der Bonner Republik bietet Bonn viele Anknüpfungspunkte für politische Erfolgsgeschichten. Ich hätte meinen Bericht zur Telematik daher gerne mit etwas begonnen, das gut in diese Tradition passt, aber es tut mir leid, ich muss von der Gesundheitspolitik der Ampelregierung berichten.
Eine letzte Verbindungslinie zur Bonner Republik, die mir einfällt, ist, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) weiterhin seinen ersten Dienstsitz hier am Rhein hat. Politische Erfolgsgeschichten habe ich auch nach konzentriertem Nachdenken keine gefunden. Das einzige, was im BMG verlässlich funktioniert, ist die Ankündigung und die Bürokratie. … Sigmund Freud hat mit dem Begriff von Wiederholungszwang den menschlichen Impuls begründet, Situationen und Handlungen zu wiederholen, obwohl man damit sich und andere quält. Schon wahr, Freud ist schon lange tot, aber viel besser kann man heute die Pläne des BMG zur Einführung der neuen ePA nicht erklären.“
KZBV-Vize Dr. Ute Maier wies darauf hin, dass „der Gesetzgeber aktuell mit einigen, mehr oder weniger sinnhaften Gesetzen das Gesundheitswesen digitalisieren will. Dabei muss man zugestehen, dass Deutschland, was die Digitalisierung anbetrifft, im Ranking ziemlich weit am Ende der Liste der europäischen Länder steht. Das neueste und erst kürzlich im Bundestag beratene Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG) beinhaltet jedoch wieder einmal viele Paragraphen, die Auswirkungen auf die Zahnarztpraxen haben und eher zu Mehraufwänden führen werden als zu weniger Bürokratie.“
Wie die KZBV in ihrem jüngst veröffentlichten Geschäftsbericht für den Zeitraum Juli 2023 bis Juni 2024 hinweist, müsse auch für diesen Zeitraum wieder konstatiert werden, „dass eine übereilte Gesetzgebung die Vorgänge nicht beschleunigt, sondern hemmt.“
Um Missverständnissen vorzubeugen, stellt die KZBV klar, der zahnärztliche Berufsstand begreife die Digitalisierung grundsätzlich als Chance, um einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsinformationen zu schaffen, die Gesundheitskompetenz von Patientinnen und Patienten zu stärken und Bürokratielasten in Zahnarztpraxen zu bewältigen. Das Manko: „Mit Ausnahme der aus der Zahnärzteschaft proaktiv heraus entwickelten Leuchtturmprojekte wie dem elektronischen Beantragungs- und Genehmigungsverfahren (EBZ) bedeutet die Digitalisierung bisher für die Praxen keine Erleichterung im Arbeitsalltag, sondern vor allem mehr Bürokratieaufwand und steigende Kosten.“
Bis Ende Juni 2024 seien insgesamt mehr als 14,5 Millionen EBZ-Anträge versandt worden. Den größten Anteil machten hierbei erwartungsgemäß die ZE-Anträge mit rund elf Millionen aus. Und obwohl das EBZ zum 1. Juli 2023 zuletzt für den Leistungsbereich PAR verpflichtend eingeführt worden sei, seien hier bereits 1,2 Millionen Anträge erfolgt. „Die Zahlen spiegeln deutlich den Charakter einer hochfrequentierten Anwendung wider, die sich vollständig in den zahnärztlichen Behandlungsalltag eingegliedert hat und nicht mehr wegzudenken ist“, resümiert die KZBV.
Als Erfolg wird im Geschäftsbericht auch reklamiert, dass inzwischen mehr als 98 Prozent der Vertragszahnarztpraxen in Deutschland an die Telematikinfrastruktur (TI) angebunden sowie mit den erforderlichen Komponenten und Diensten ausgestattet seien. Ein deutlicher Zuwachs sei bei der Nutzung der TI-Anwendungen zu verzeichnen gewesen. Im Sektorenvergleich steche vor allem der Einsatz von KIM und des E-Rezeptes heraus. In der Gesamtschau könne der Anschluss der Zahnarztpraxen an die TI als abgeschlossen betrachtet werden, heißt es. Von den in der ersten Jahreshälfte 2024 bundesweit ausgestellten E-Rezepten seien rund vier Millionen zahnärztliche Verordnungen gewesen.
Und übrigens nutze kein anderer Sektor im Gesundheitswesen KIM so intensiv wie die Zahnarztpraxen. Organisiert werde hierüber in erster Linie der Versand von Heil- und Kostenplänen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU), zudem komme KIM für den Austausch mit anderen Gesundheitsberufen oder den Standesorganisationen zum Einsatz. Die KZBV habe KIM ebenfalls im Einsatz, monitore kontinuierlich das Nutzer- und Betreiberumfeld, unterstütze Supportprozesse und bringe sich fachlich in die Weiterentwicklung der Anwendung ein.
Das aus Kassenmitteln zu bestreitende Gutachterwesen hat laut KZBV auch im vergangenen Berichtsjahr zugelegt. Die Krankenkassen oder – in bestimmten Fällen – auch Zahnärztinnen und Zahnärzte können bei Bedarf einen Gutachter einschalten, der beurteilt, ob eine geplante Therapie angemessen ist und von der Krankenkasse übernommen werden muss, oder ob eine prothetische Versorgung unter Umständen Mängel aufweist. Das Gutachterwesen diene damit der Überprüfung und Förderung der Behandlungsqualität.
Den höchsten Zuwachs bei den Gutachten verzeichnete mit 10,2 Prozent der Bereich Zahnersatz – hier seien im Jahr 2023 insgesamt 161.021 Gutachten erstellt worden. In 149.105 Planungsgutachten seien – wie annähernd im Vorjahr – 52,4 Prozent der Planungen befürwortet, während 24,5 Prozent nicht befürwortet und 23,1 Prozent der Planungen teilweise befürwortet worden seien. Bei immer noch knapp acht Millionen prothetischen Behandlungsfällen seien demnach lediglich 11.912 Mängelgutachten angefordert worden. Dabei seien in 69 Prozent der Fälle auch tatsächlich Mängel festgestellt worden. „Der Anteil gutachterlich beanstandeter Therapien an der Gesamtzahl der Zahnersatzbehandlungen lag damit im Promillebereich und ist ein Indikator für eine insgesamt qualitativ gute Versorgung mit Zahnersatz“, so das Fazit der KZBV.
Im Bereich Parodontalerkrankungen verringerte sich die Zahl der Gutachten im Jahr 2023 laut Bericht um minimale 1,3 Prozent auf 17.682. Auch die Zahl der Behandlungsfälle sei gegenüber dem Vorjahr um 21,9 Prozent auf gut 1,13 Millionen gesunken. Die Begutachtungsquote sei damit auch in diesem Bereich weiterhin verschwindend gering.
Im Bereich Kieferorthopädie sei 2023 in 67.082 Fällen ein Gutachter bemüht worden, was einer Zunahme um 7,2 Prozent entspreche. In 54,6 Prozent dieser Fälle sei der geplanten Behandlung ganz, in 30,2 Prozent teilweise und in 15,1 Prozent nicht zugestimmt worden.
Die Begutachtung im Bereich Implantologie nahm laut KZBV im Vergleich zum Vorjahr um 8,4 Prozent auf 1.812 Fälle zu. In 65,7 Prozent der Fälle sei der geplanten Behandlung ganz, in 11,0 Prozent teilweise und in 23 Prozent nicht zugestimmt worden.
Bei der Erarbeitung von Richtlinien für das GKV-System bilden die auf Basis der evidenzbasierten Medizin erstellten Empfehlungen des Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sowie des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) eine wesentliche Beratungsgrundlage in den Gremien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Die KZBV ist sowohl in den Gremien der Qualitätsinstitute vertreten als auch in ihre Verfahren eingebunden, was auch die Weiterentwicklung ihrer methodischen Grundlagen umfasst.
Die „Methodischen Grundlagen“ stellen die wissenschaftlichen Arbeitsgrundlagen des IQTIG als fachlich unabhängiges, wissenschaftliches Institut nach § 137a SGB V dar. Darin beschreibt das IQTIG die allgemeinen Methoden und Kriterien, die es für die Entwicklung und Weiterentwicklung von Maßnahmen der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen einsetzt. Wie dem KZBV-Geschäftsbericht zu entnehmen ist, ruckelt es anscheinend noch ein bisschen im Verhältnis zwischen G–BA und IQTIG, werden Empfehungen an den G–BA des Öfteren zur Überarbeitung an das IQTIG zurückverwiesen.
„Das IQTIG veröffentlichte seine Weiterentwicklung zu seinen Methodischen Grundlagen, zuletzt im April 2024. Die KZBV hat im Rahmen des schriftlichen Beteiligungsverfahren gemäß § 137a Abs. 7 SGB V eine kritische Stellungnahme zum Entwurf der Methodischen Grundlagen abgegeben“, heißt es. Die Stellungnahme ist allerdings nicht öffentlich einsehbar.
Für die Qualität in der vertragszahnärztlichen Versorgung dienen entsprechende Leitlinien als eine tragende Säule. Wie die KZBV berichtet, sei sie aktiv an der Neuerstellung und Aktualisierung (zahn)medizinischer Leitlinien unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) beteiligt. „Dabei liegt der Fokus für die KZBV auf der Implementierbarkeit der Leitlinienempfehlungen insbesondere hinsichtlich ihrer Kompatibilität mit den vertragszahnärztlichen Rahmenbedingungen“, verdeutlicht sie.
Die KZBV ist nach eigenem Bekunden an der Neuerstellung folgender Leitlinien beteiligt: „Die Behandlung von Parodontitis Stadium IV“, „Festsitzender Zahnersatz für zahnbegrenzte Lücken“, „Ideale Zeitpunkte und Maßnahmen der kieferorthopädischen Diagnostik“, „Schienenbehandlung bei craniomandibulärer Dysfunktionen und zur präprothetischen Therapie“, „Sedierung in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ und „Zahnmedizinische Betreuung des geriatrischen Patienten“. Sie werde auch am neuen Leitlinienprojekt „Therapie pulpaler und apikaler Erkrankungen“ mitarbeiten.
Zudem sei die KZBV in die Beratungen zur Aktualisierung folgender Leitlinien eingebunden: „Fissuren- und Grübchenversiegelung“, „Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe“, „Häusliches chemisches Biofilmmanagement in der Prävention und Therapie der Gingivitis“, „Häusliches mechanisches Biofilmmanagement in der Prävention und Therapie der Gingivitis“, „Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen, grundlegende Empfehlungen“, „Therapie der Lippen-Kiefer-Gaumen- und Nasenfehlbildung“ und „Zahnimplantate bei medikamentöser Behandlung mit Knochenantiresorptiva (inkl. Bisphosphonate)“.
Fertiggestellt und veröffentlicht worden seien folgende Leitlinien, an denen die KZBV mitgearbeitet habe: „Direkte Kompositrestaurationen an bleibenden Zähnen im Front- und Seitenzahnbereich“, „Einsatz von Platelet-Rich-Fibrin (PRF) in der dentalen Implantologie“, „Implantationszeitpunkte“ und „Keramikimplantate“.
Wie die KZBV sowohl in ihrem Geschäftsbericht als auch auf der Vertreterversammlung in Bonn betont, gebe es noch eine weitere Großbaustelle abseits der Digitalisierung, der Bürokratie und der Qualität – die novellierte EU-Quecksilberverordnung. Demnach darf ab dem 1. Januar 2025 Dentalamalgam in der EU nicht mehr für die zahnärztliche Behandlung verwendet werden, es sei denn, der Zahnarzt erachtet eine solche Behandlung wegen der spezifischen medizinischen Erfordernisse bei dem jeweiligen Patienten als zwingend notwendig.
Dentalamalgam könne aber auf Basis dieser Verordnung bis zum 30. Juni 2026 für Patienten, für die andere erstattungsfähige Materialien für Zahnfüllungen nicht infrage kommen, und Personen mit geringem Einkommen, auf die der 1. Januar 2025 als Frist für den Ausstieg unverhältnismäßige sozioökonomische Auswirkungen hat, in Mitgliedstaaten verwendet werden, in denen Dentalamalgam nach nationalem Recht das einzige öffentlich erstattungsfähige Material ist, das zu mindestens 90 Prozent erstattet wird.
KZBV-Chef Martin Hendges sagte dazu in Bonn: „Wie wichtig eine funktionierende Selbstverwaltung auch unter diesen mehr als schwierigen politischen Rahmenbedingungen ist, zeigt unser erzieltes Ergebnis in Sachen ‚Amalgamverbot‘. Trotz unserer gemeinsamen Bemühungen von KZBV und BZÄK auf der europäischen Ebene ist es uns nicht gelungen, eine Verschiebung des Phaseout bezüglich des Amalgamverbotes auf das Jahr 2030 zu erreichen.
Allein die vorgeschobenen Umweltaspekte um das Thema ‚Quecksilber‘ haben dazu geführt, dass wir nun mit einem generellen Amalgamverbot ab dem 01.01.2025 umgehen müssen. Für uns hatte das zur Folge, dass wir innerhalb kürzester Zeit eine Lösung finden mussten, die einerseits dem im SGB V verankerten Sachleistungsanspruch im Füllungsbereich Rechnung trägt und andererseits die lange etablierte Wahlmöglichkeit der Patienten für aufwändigere Füllungen gemäß § 28 Abs. 2 u. 3 SGB V nicht infrage stellt.“
Einen Beschluss zum Amalgamverbot hat die Vertreterversammlung nicht gefasst. Dagegen hat sie unter anderem Beschlüsse zu den iMVZ und den Auswirkungen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) auf die PAR-Strecke verabschiedet.
„Die Vertreterversammlung appelliert nachdrücklich an die jetzige Regierungskoalition, die Vorschläge der KZBV zur Regulierung von investorengetragenen MVZ (iMVZ) im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) aufzugreifen, um die mit der Ausbreitung von iMVZ einhergehen Gefahren für die Patientenversorgung endlich einzudämmen“, heißt es in dem einen Beschluss.
„Die Vertreterversammlung der KZBV fordert den Gesetzgeber dazu auf, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) die Leistungen für die neue, präventionsorientierte Parodontitistherapie gesetzlich als Früherkennungs- und Vorsorgeleistungen anzuerkennen und vollumfänglich zu vergüten“, steht in dem anderen Beschluss.
Angesichts fraglicher Mehrheiten im Bundestag stehen derzeit wahrscheinlich verschiedene, wenn nicht alle noch nicht verabschiedeten, durch Lauterbach angestoßenen Gesetze auf der Kippe. So wird sich zum Beispiel am 22. November zeigen, ob sich im Bundesrat eine Mehrheit findet, um die Klinikreform via Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) an den Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag zu verweisen.
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