Praxismanagement
Es müssen nicht immer zu schwache Schlüssel oder fehlerhafte Technik sein: Auch organisatorische Mängel wirken sich in einer Sicherheitsinfrastruktur manchmal fatal aus. Zum Beispiel in…
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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich öffentlich positioniert, keine Investoren-Medizin zu wollen. Seitdem drängen ihn nicht nur KZBV und BZÄK, die seitens seines Ministeriums angestoßene Regulierung investorengetriebener MVZ endlich auf die Gesetzesschiene zu bringen. Das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz wird es nicht sein, es soll die Rolle der Kommunen bei MVZ-Gründung stärken. Bayern hat die jüngste Gesundheitsministerkonferenz als Bühne genutzt, um weiter Druck auf den Genossen Lauterbach in puncto iMVZ auszuüben.
Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) mangelt es offensichtlich nicht an Gestaltungswillen im deutschen Gesundheitswesen. Die Liste seiner Gesetzesvorhaben ist lang – abgehakt hat der Bundesrat Anfang Februar das Gesundheitsdatennutzungsgesetz sowie das Digital-Gesetz. Letzteres ebnet der flächendeckenden Einführung der elektronischen Patientenakte zum Januar 2025 den Weg.
Als nächster großer Brocken auf der Agenda des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) steht die Krankenhausreform, bei der es anscheinend seit Langem nicht wirklich vorangeht. Der Klinikreform könnte es auch geschuldet sein, dass in puncto verschärfter Regulierung investorengetriebener Medizinischer Versorgungszentren (iMVZ) offensichtlich Stillstand herrscht. Zumindest der verfassten Zahnärzteschaft geht es nicht schnell genug mit einem entsprechenden Gesetz, wie die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) in einer gemeinsamen Mitteilung angesichts des jetzt bekanntgewordenen, aktualisierten Referentenentwurfs für das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) bekundet.
Mit dem GVSG wird das BMG die iMVZ-Regulierung wohl nicht anpacken, wie sich aus dem Referentenentwurf ablesen lässt. Danach soll das neue Gesetz, das die forcierte Gesundheitsversorgung in den Kommunen adressiert, unter anderem Erleichterungen bei der MVZ-Gründung durch Kommunen bringen, die in der Rechtsform einer GmbH gegründet werden.
Die Kommunen als MVZ-Träger sind weder KZBV noch BZÄK ein Dorn im Auge. Sie weisen – erneut – darauf hin, dass bereits seit Jahren Private-Equity-Gesellschaften und andere große Finanzinvestoren in die vertragszahnärztliche Versorgung vordringen, in dem sie häufig kleine und marode Krankenhäuser aufkaufen, um sie dann lediglich als gesetzlich notwendiges Vehikel zur Gründung von iMVZ und großer iMVZ-Ketten zu nutzen. Die Dynamik sei enorm: Mittlerweile liege der Anteil der iMVZ an allen zahnärztlichen MVZ bei 30,4 Prozent (3. Quartal 2023) – mit weiter steigender Tendenz. Mit ihrem Fokus auf schnelle Rendite stellten iMVZ eine erhebliche Gefahr für die Patientenversorgung dar, wie sie beispielsweise das ARD Magazin „Panorama“ mehrfach dokumentiert habe. Auch ein entsprechendes Gutachten des IGES-Instituts belege diese Tendenz
Das Paradoxe an der Situation: Im BMG und besonders beim Ressort-Chef dürfte Konsens herrschen bezüglich der Rolle der iMVZ. In einem viel beachteten Interview mit der „ZEIT“ von Mitte Dezember 2022 äußerte sich Lauterbach so: „Bislang beobachten wir, dass internationale Firmen zum Beispiel Praxen in der Augenheilkunde, von Zahnärzten und in der Dialyse übernehmen, um damit Geld zu machen. Das müssen wir dringend unterbinden. Wir wollen keine Investoren-Medizin. Medizin ist eine Fürsorge auf Grundlage der Wissenschaft. Keine Ware des Kapitalismus. Wir haben in allen Bereichen zu viel Ökonomie und zu wenig Medizin, ob in den Krankenhäusern, durch die Fallpauschalen, bei den Medikamenten, wo es ebenfalls heißt: Hauptsache, billig, und jetzt auch bei den Arztpraxen, wo nun billige Massenabfertigung droht. Das muss aufhören. Wir sind zu weit gegangen.“ An dieses Regulierungsversprechen erinnern KZBV und BZÄK den Minister nun „noch einmal mit Nachdruck“.
Schützenhilfe erhält die Zahnärzteschaft in Sachen iMVZ von Seiten der Gesundheitsministerkonferenz (GMK), dem Forum der Ministerinnen und Minister sowie Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder. Auf der 95. GMK in Magdeburg fassten sie Ende Juni 2022 „zur Bekräftigung des Beschlusses zu TOP 6 der 94. GMK vom 05.11.2021 aufgrund fortschreitender Investorentätigkeit im Bereich der medizinischen Versorgungszentren folgenden ergänzenden Beschluss:
Das BMG wird gebeten, in geeigneter Weise und unter Berücksichtigung von Zuständigkeiten der Länder auch im Bereich des Beruferechts Regelungen zu treffen, die sicherstellen, Fremdinvestoren mit ausschließlich Kapitalinteressen von der Gründung und dem Betrieb Zahnärztlicher medizinischer Versorgungszentren auszuschließen.“
Für den KZBV-Vorstandsvorsitzenden Martin Hendges ist das Schneckentempo seitens des BMG bei der avisierten iMVZ-Regulierung offensichtlich nicht nachvollziehbar. Nachdem Lauterbach mit dem GVSG wieder nicht liefert, ermahnt er ihn erneut – dieses Mal mit Blick auf die Rolle der iMVZ in der kommunalen Versorgung. „Schon lange ist bekannt, dass die rein renditeorientierten zahnärztlichen iMVZ kaum etwas zur Versorgung auf dem Lande beitragen. Ihr Anteil an der Versorgung vulnerabler Gruppen ist auch deutlich geringer als bei herkömmlichen Praxen. Unsere Analyse von Abrechnungsdaten zeigt zudem eine Tendenz zu Über- und Fehlversorgungen in iMVZ gegenüber den bewährten Praxisformen. Daher fordern wir Minister Lauterbach noch einmal auf, hier entsprechende Regelungen aufzunehmen und die fortschreitende Vergewerblichung des Gesundheitswesens endlich wirksam zu stoppen“, so Hendges.
Dabei gelte es vor allem, den Besonderheiten der zahnärztlichen Versorgung Rechnung zu tragen. Die konkreten Vorschläge seitens der KZBV dazu lägen seit Langem auf dem Tisch. Ein räumlicher und – das sei essenziell – auch fachlicher Bezug eines Trägerkrankenhauses müsse gesetzlich zur Voraussetzung der Gründungsbefugnis eines Krankenhauses von iMVZ gemacht werden. Darüber hinaus sei zur Herstellung erforderlicher Transparenz die Schaffung von iMVZ-Registern und die Verpflichtung für iMVZ Betreiber, auf Praxisschildern und Websites Angaben über Träger- und Inhaberstrukturen zu machen, dringend erforderlich.
BZÄK-Präsident Professor Christoph Benz betont ebenfalls, die Zahnmedizin in Deutschland benötige keine fachfremden Investoren, die sich in ohnehin meist gut versorgten kaufkraftstarken Regionen niederließen, um dort ihre Renditeversprechen zu erfüllen. Er lenkt den Blick auch auf eine sicherlich unerwünschte Nebenwirkung: „Da die Behandler in iMVZ oft unter einem enormen Umsatzdruck stehen, finden die dort angestellten Kolleginnen und Kollegen meist eine schlechte Work-Life-Balance vor, die sich auch auf die Behandlungsqualität auswirken kann. Und das nicht nur bei uns im ambulanten Bereich. Ein amerikanisches Forschungsteam hat kürzlich die Auswirkungen der Private-Equity-Akquisitionen von US-Krankenhäusern auf die klinische Qualität der stationären Versorgung untersucht – mit erschreckenden Ergebnissen. Diese US-Studie verstärkt unsere Besorgnis über die Auswirkungen von Private Equity auf die Gesundheitsversorgung erheblich. Um den erheblichen Gefahren für die Patientenversorgung nachhaltig entgegenzutreten, braucht es jetzt eine standhafte Politik, die im Ergebnis klare gesetzliche Vorgaben gegen die ungebremste Ausbreitung von iMVZ auf den Weg bringt“, nimmt Benz Lauterbach und das BMG in die Pflicht.
Über den Bundesrat ist die Bundesregierung auf Initiative Bayerns bereits mit Beschluss von Mitte Juni vergangenen Jahres zur „Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes“ aufgerufen worden. Das Manko: Die Bundesregierung alleine entscheidet, wann sie sich damit befasst. Feste Fristen gibt es hierfür nicht.
In seinem Entschließungsantrag schildert Bayern aber bereits eine dramatische Lage mit Blick auf die (i)MVZ: „Das rasante Wachstum von MVZ birgt dabei generell das Risiko von Konzentrationsprozessen. Im Hinblick auf das Wachstum von iMVZ bestehen darüber hinaus weitere Risiken, insbesondere für eine flächendeckende, umfassende Versorgung. So verlagern Investoren die Versorgungskapazitäten tendenziell in lukrative Ballungsgebiete und legen einen stärkeren Fokus auf gut skalierbare und umsatzsteigernde Leistungen, weshalb zu befürchten ist, dass nicht mehr das gesamte Behandlungsspektrum abgebildet wird.“
Um diese Risiken für die Versorgung abzuwenden und auch weiterhin eine ausgewogene und plurale Versorgungslandschaft aller im SGB V zugelassenen Leistungserbringer ohne eine Diskriminierung bestimmter Versorgungsformen zu erhalten, bedürfe es demnach einer Neujustierung der Rahmenbedingungen für die Gründung und den Betrieb von MVZ durch den Bundesgesetzgeber. Dies umfasse auch eine „räumliche Beschränkung der Gründungsbefugnis von Krankenhäusern für (zahn-)ärztliche MVZ. In räumlicher Hinsicht sollte eine Beschränkung auf die jeweiligen arztgruppenbezogenen Planungsbereiche, die ganz oder teilweise in einem Radius von bis 50 km zum Sitz des Krankenhauses entfernt liegen, normiert werden. Für unterversorgte und drohend unterversorgte Planungsbereiche sind jeweils Ausnahmen vorzusehen.“
Bayern Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) erinnerte Lauterbach nun Ende Januar im Anschluss an eine GMK-Videoschalte unter dem Vorsitz Schleswig-Holsteins an die Dringlichkeit der MVZ-Regulierung. „Bundesminister Lauterbach hat schon Ende 2022 angekündigt, profitorientierte Ketten von Arztpraxen stärker zu regulieren. Geschehen ist seitdem leider nichts. Wir brauchen im Sinne der Patientinnen und Patienten zeitnah effektive Regulierungsmaßnahmen, wenn uns eine starke und vielfältige ambulante Versorgung gerade auch im ländlichen Raum wichtig ist. Bayern hat gemeinsam mit anderen Ländern im Juni 2023 erfolgreich einen Antrag zur Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes in den Bundesrat eingebracht. Darin schlagen wir konkrete Maßnahmen vor, wie MVZ stärker reguliert werden sollten. Darauf habe ich in der Runde der Gesundheitsminister noch einmal gedrungen“, so Gerlach.
Das Brisante für Lauterbach daran: Bei der Abstimmung im Bundesrat haben auch Landesregierungen zugestimmt, in denen Parteien der Berliner Ampel beteiligte Partner sind. Insofern wächst der Druck auf Lauterbach, bei der iMVZ-Regulierung via Gesetz endlich in die Pötte zu kommen, quasi auch aus den eigenen Ampel-Reihen. Allerdings kennen viele Verhandlungspartner Lauterbach – wie sie unter der Hand auch nicht verhehlen – offenbar als hartleibig, könnte es also auch noch länger dauern, bis ein BMG-Referentenentwurf für ein MVZ-Regulierungsgesetz durchgestochen und konkrete Punkte in die gesundheitspolitische Diskussion gehen.
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