Ein Staatsanwalt gibt Tipps: So lassen sich Behandlungsfehler vermeiden

Die Ermittlungsbehörden haben immer häufiger mit vermuteten Behandlungsfehlern zu tun. Ein Staatsanwalt erläutert, wie Ärztinnen und Ärzte Fehler vermeiden können – und sich Strafverfahren verhindern lassen.

„Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“ (Dietrich Bonhoeffer)

Für Staatsanwalt Dr. Armin Buchter gehören Fehler in der Medizin zum Beruf. Viele Jahre war er bei der Staatsanwaltschaft Berlin intensiv mit Medizinstrafverfahren befasst. Auch bei seiner neuen Stelle in Potsdam hat er immer wieder mit angeblichem Fehlverhalten von Ärztinnen und Ärzten zu tun.

„Nur in den großen Städten wie Berlin oder Hamburg gibt es für Medizinstrafsachen eine eigene Sonderzuständigkeit“, erläutert der Jurist. Buchter hält regelmäßig Vorträge zu Fehlern in der Medizin – insbesondere dazu, wie sich diese im Berufsalltag von Kliniken und Praxen vermeiden lassen.

Hilfreich ist ihm dabei auch seine für einen Juristen ungewohnt hohe medizinische Expertise: Denn der Staatsanwalt engagiert sich seit vielen Jahrzehnten im Rettungsdienst und hat sich 2014 zum Notfallsanitäter weiterbilden lassen, um weiterhin eigenverantwortlich auf dem Rettungswagen tätig sein zu können.

Zahl vermeintlicher Fehler steigt

Die Ereignisse, mit denen Buchter und seine Ermittlungskollegen konfrontiert werden, sind äußerst unterschiedlich: Dazu gehört beispielsweise die Missachtung der Hilfspflicht, also wenn Mediziner Zeuge eines Unfalls werden, aber nicht helfen, weil sie nicht im Dienst sind. Ein echtes No-Go sind auch Handys im Op, die die Konzentration mindern. Geht dabei etwas schief, können Ärzte schnell vor Gericht landen.

Die Zahl vermeintlicher Behandlungsfehler, die jährlich auf den Tischen der Ermittler landet, liegt im vierstelligen Bereich, schätzt Buchter. Tendenz steigend: Denn spezielle Online-Meldeportale ermöglichen den Bürgern schnell und ohne großen Aufwand, kostenfrei Anzeige gegen Ärztinnen und Ärzten zu erstatten. Entsprechend niedrig ist die Hemmschwelle.

„Derartige Anschuldigungen sind dadurch schnell in der Welt, die Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, jedem Anfangsverdacht nachzugehen.“ Doch nur in den wenigsten Fällen liegen den Anzeigen auch tatsächlich Fehler von Medizinern zugrunde: Manche Patienten machten dort auch einfach nur ihrem Frust und ihrer Enttäuschung darüber Luft, dass eine medizinische Behandlung nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat.

Zunächst gilt es, Beweise zu sichern

Um zu prüfen, ob es sich um eine strafbare Handlung handelt, müssen Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst Beweise sichern. Der ärztlichen Dokumentation kommt dabei eine wichtige Rolle zu, zumeist in Form der Patientenakte. Wichtig: Ärzte, die nach dem Vorfall Ergänzungen oder Anmerkungen in der Akte machen, müssen dies mit entsprechenden Hinweisen versehen, damit ihnen nicht der Vorwurf der Manipulation gemacht werden kann.

“Kurz innehalten und sich zusammen Gedanken machen – das kann verhindern, dass sich einer verrent.”
Dr. Armin Buchter, Staatsanwalt

Aus Sicht des Staatsanwalts lassen sich Behandlungsfehler in vielen Fällen auf ungeeignete Arbeitsprozesse in Arztpraxen oder Kliniken zurückführen. Daher werde bei Strafverfahren gegen Mediziner immer auch nach den systemimmanenten Strukturen geschaut. „Es gibt nun mal Abläufe, die zulassen, dass einzelne Personen Fehler machen.“

Es könne daher sein, dass bei Verfahren auch der zuständige Chef- oder Oberarzt mit auf der Anklagebank sitze. Er selbst habe sogar nach abgeschlossenen Verfahren das Gespräch mit Klinikleitungen gesucht, um über ungeeignete Prozesse zu reden. Arbeite das Gesundheitspersonal beispielsweise unter enormem Zeitdruck, würden Vorsichtsmaßnahmen auch mal bewusst gerissen. Er nennt an dieser Stelle Pflegedienste, die – um Zeit zu sparen – Dokumentationsbögen bereits vor dem Besuch der Patienten ausfüllten.

Wie lassen sich Fehler möglichst verhindern? Buchter hat drei entscheidende Tipps:

Qualitätssicherung: Praxen und Kliniken sollten nach einem System arbeiten, bei dem man aus Fehlern lernt, wie Meldesysteme für kritische Ereignisse und Beinahe-Fehler – Critical Incident Reporting-Systeme (CIRS) oder Fallkonferenzen, empfehlt der Jurist. Diese fußten in der Regel auf denselben Fehlervermeidungsstrategien wie die Luftfahrt. Wichtig sei auch das Vier-Augen-Prinzip, betont Armin Buchter. Gerade bei seiner Arbeit im Rettungsdienst gebe es dadurch immer eine zusätzliche Sicherheitsebene. „Kurz innehalten und sich zusammen Gedanken machen – das kann verhindern, dass sich einer verrent.“

Das Vier-Augen-Prinzip sollte auch bei der ärztlichen Aufklärung angewandt werden. Denn häufig geht es bei Gerichtsverfahren um die Frage, ob der Patient oder die Patientin ausreichend über den Eingriff und die damit verbundenen Risiken informiert wurde. Bei „schwierigen“ Patienten sei es daher durchaus sinnvoll, bei der Aufklärung und der anschließenden Dokumentation eine MFA dazuzuholen, ebenso bei Patienten, die sich trotz anderslautender Empfehlung selbst entlassen.

Ausreichende Fortbildung: „Fehler passieren, wenn es an Material und Fachwissen mangelt“, weiß Buchter. Auch hier böten bestimmte Standards eine zusätzliche Sicherheitsebene. In diesem Zusammenhang verweist er auf den Fall eines Gütersloher Anästhesisten, der im Juni vergangenen Jahres wegen fahrlässiger Tötung vom Landgericht Bielefeld verurteilt wurde. Der Mediziner hatte vor der Op eines 14-jährigen Jungen das Narkosegerät nicht ordnungsgemäß überprüft und dann Alarmmeldungen ignoriert. Auch herbeigerufene Kollegen bemerkten nicht, dass die Luftschläuche falsch angeschlossen waren. Der Junge erstickte. Aus diesem Fehler haben nicht nur die Beteiligten, sondern auch die Herstellerfirma der Geräte gelernt: „Die Technik des Narkosegerätes wurde überarbeitet. Ein derartiges Szenario ist inzwischen nicht mehr möglich.“

Anderes Beispiel: Eine Hebamme, die beim Hausbesuch einer Schwangeren über das CTG die Herztöne des Kindes nicht hörte, zog eine zweite Hebamme hinzu, statt einen Arzt zu rufen. Auch hier kam es zu Komplikationen. „Warum werden in solchen Fällen Gleichqualifizierte angefragt? Hier hätte sie unbedingt einen Arzt um Hilfe bitten müssen“, macht der Jurist klar.

Nicht sofort Fehler zugeben: Diese Empfehlung hat versicherungsrechtliche Gründe. Denn die Haftpflichtversicherung des betroffenen Mediziners muss selbst noch feststellen, ob in dem vorliegenden Fall eine Haftung besteht oder nicht. Häufig wisse man zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, ob es sich tatsächlich um einen Fehler handele oder um einen schicksalhaften Verlauf. Das bedeute jedoch nicht, dass man mit den Patienten nicht sprechen soll – im Gegenteil.

Kommunikation sei an dieser Stelle ganz entscheidend. Es gehe darum, den Patienten und seine Bedürfnisse ernst zu nehmen, ohne gleichzeitig mögliche Fehler zuzugeben. „Was man aber machen kann, ist, auf die Patienten zugehen und sie von Beginn an in die Aufklärung des Vorfalls einbinden. Das zeugt von Empathie und Anteilnahme.“

Strafanzeige ist nur selten der Weg zum Ziel

Buchter hat die Erfahrung gemacht, dass eine Strafanzeige für Patienten selten der Weg zum Ziel ist. In erster Linie gehe es ihnen um Anerkennung. Und die Verfahren endeten nur in wenigen Fällen mit einer Verurteilung: Schließlich habe das Gericht die schwierige Aufgabe, dem Mediziner eine individuelle Schuld nachzuweisen. Gelingt das nicht zu 100 Prozent, gilt der Grundsatz in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten). Basis der Entscheidungen sind medizinische Gutachten.

Die Einstellungsquote von Behandlungsfehler-Verfahren beziffert Buchter auf etwa 90 Prozent. Berücksichtigt werde von den Gerichten, ob es sich bei den angeklagten Medizinern um Ersttäter handelt und diese sich ansonsten rechtskonform verhalten. Häufig sind sie durch die Ermittlungsverfahren bereits stark belastet.

Und nicht zu vergessen: Neben den Strafverfahren müssen auch zivilrechtliche Fragen geklärt werden, in denen es um ein mögliches Schmerzensgeld geht. „Diese Prozesse dauern zum Teil Jahre und sind sehr aufwändig.“

Um in seinen Ermittlungen möglichst unvoreingenommen zu sein, absolviert Buchter seine Schichten als Notfallsanitäter bewusst außerhalb seines regionalen Zuständigkeitsbereichs als Staatsanwalt.

Die Arbeit mit dem Rettungsteam bezeichnet er als eine „sehr befriedigende Tätigkeit“, die einen praktischen Ausgleich zu seiner juristischen Arbeit darstelle. Letztes Jahr habe er erstmals eine Frau wiederbelebt, der es inzwischen wieder richtig gut geht. Solche Fälle seien selten, meistens blieben nach einer Reanimation Folgeschäden zurück. „Diese Erfahrung hat mich noch mal motiviert, weiterzumachen.“

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