Praxisdigitalisierung: Was im nächsten Jahr geplant ist

Digitalisierung ist ein Dauerlauf: Im kommenden Jahr stehen in der ambulanten Versorgung wieder einige IT-Neuerungen an – es soll aber auch an Defiziten gearbeitet werden. Und hinterm Horizont bereitet sich die neue ePA auf ihren großen Auftritt vor.

Die eAU ist, zumindest was ihren ärztlichen Arm angeht, weitgehend implementiert. Das E-Rezept für verschreibungspflichtige Medikamente soll ab Anfang 2024 Pflicht werden. So weit, so bekannt.

Beim diesjährigen Anbieter-Meeting der KBV in Berlin wurde jetzt ein Überblick gegeben, worauf sich Ärztinnen und Ärzte sowie die Praxis-IT-Industrie sonst noch einstellen müssen in nächster Zeit.

E-Arztbrief-Fähigkeit wird Pflichtprogramm

Da ist zum einen die Verpflichtung, E-Arztbriefe nach KBV-Richtlinie verarbeiten zu können. Das können viele Praxen bzw. Praxis-IT-Systeme heute schon, aber viele eben auch noch nicht. Obligat werde die Pflicht zur Verarbeitung von E-Arztbriefen drei Monate, nachdem das sich aktuell in Abstimmung befindliche Digitalgesetz in Kraft getreten sei, sagte Nino Mangiapane von der KBV.

Unter der Annahme, dass das Gesetz wie geplant verabschiedet wird, wäre es am 1. März 2024 dann so weit mit der E-Arztbrief-Pflicht. Theoretisch jedenfalls: „Alle wissen, wie realistisch das mit Blick auf die Zulassungsverfahren ist, aber zumindest wird es keine Sanktionen für Vertragsärzte geben“, so Mangiapane.

Allerdings könne im Rahmen der Abrechnung für den E-Arztbrief dann nur noch „ja“ angegeben werden, wenn in der Praxis eine KBV-zertifizierte Umsetzung zur Verfügung stehe, betonte Alexander Börner von der KBV: „Wir möchten nochmals alle Softwarehersteller auffordern, die Zertifizierung zu durchlaufen.“

TI-Anbindung: Torbogen statt Kiste

Auf Seiten der Telematikinfrastruktur-Komponenten steht als eine nicht unwesentliche Neuerung der sogenannte TI-Gateway quasi auf der Praxisschwelle. Er sei „der erste halbe Schritt in Richtung Telematikinfrastruktur 2.0“, wie es Florian Hartge von der gematik ausdrückte. Mit dem TI-Gateway endet die Zeit der Konnektor-Boxen in den Arztpraxen, das gilt als sicher.

Der „Konnektor“ wird künftig in Rechenzentren betrieben, und auch dort wird es dann keine physischen Boxen mehr geben – anders als bei derzeit teilweise genutzten TI-as-a-Service-Modellen, die Hardware-Konnektoren in Rechenzentren aufstellen. Aus Sicht der Praxis(-IT) wird künftig nur noch eine sichere Verbindung, ein VPN, zum Rechenzentrum aufgebaut, und das war es. Hardware-Wechsel und Konnektor-Wartungen vor Ort gehören dann der Vergangenheit an.

Die für den TI-Gateway nötigen, rein softwarebasierten sogenannten Highspeed-Konnektoren sind derzeit bei der gematik in der Zulassung. Als realistisch gilt in der Branche, dass im zweiten Quartal 2024 die ersten Anbieter am Start sein könnten. Unternehmen, die sich hier stark engagieren, sind ehex, secunet und Rise.

Wer seinen Konnektor jetzt erneuern muss, dem hilft das alles noch nicht. Allerdings ist der Umstieg auf ein existierendes TI-as-a-service-Modell eine Option, insbesondere wenn man sich im Rahmen des TI-as-a-Service-Vertrag einen zeitnahen Wechsel auf den neuen Highspeed-Konnektor vertraglich zusichern lässt. Der Vorteil: Die Box ist dann schon mal weg.

Weitere TI-Anwendungen kommen scheibchenweise

Etwas im Verzug ist die gematik derzeit mit dem TI-Messenger. Das ist eine Art WhatsApp für den sicheren Austausch zwischen für die TI freigeschalteten Heilberuflern.

Erste TI-Messenger-Anwendungen hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ursprünglich für 2023 angekündigt. Das werde nicht klappen, so Hartge, aber „Anfang nächsten Jahres“ sei dann damit zu rechnen, dass verschiedene Angebote starten werden, die den TI-Messenger-Standard nutzen.

Das Interesse sowohl der Industrie als auch der medizinischen Einrichtungen an diesem Thema ist relativ groß. Einmal etabliert, soll der Messenger in einer zweiten Ausbaustufe dann (fakultativ) für eine sichere Kommunikation mit Patientinnen und Patienten bereitgemacht werden.

Was die elektronischen Verordnungen angeht, wird die TI beim Muster 16 Anfang 2024 nicht stehen bleiben. Der Kabinettsentwurf des Digitalgesetzes hat die Einführungsfristen für weitere digitale Verordnungen noch einmal teilweise angepasst. Eine Pflicht zum Einsatz von digitalen T-Rezepten für Lenalidomid, Pomalidomid und Thalidomid soll ab dem 1. Juli 2025 gelten, gleiches gilt für das digitale Btm-Rezept.

Die Verordnung von außerklinischer Intensivpflege (AKI) und häuslicher Krankenpflege (HKP) soll ab 1. Juli 2026 obligat digital erfolgen. Die digitalen Heilmittelverordnungen kommen dann nochmals ein Jahr später. Und wo wir schon bei den Verordnungen sind: Ab Anfang 2025 – und nicht wie bisher im Gesetz ab April 2024 – sollen auch digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) obligat elektronisch verordnet werden. Ob das alles termingerecht kommt, ist eine andere Frage.

Keine Direktzuweisungen bei E-Rezepten

Auf die obligate E-Rezept-Nutzung ab Januar 2024 ging Dr. Bernhard Gibis von der KBV etwas ausführlicher ein. Das Muster 16 bleibe auch nach Januar 2024 verfügbar, es darf aber dann nur noch in definierten Ausnahmefällen eingesetzt werden.

Das sind zum einen Ausfälle der digitalen Infrastruktur, zum zweiten Haus- und Heimbesuche, zum dritten das Ersatzverfahren, also wenn die Versichertennummer nicht bekannt ist, und zum vierten die Verordnung von Arzneimitteln nach §47 Abs. 1 AMG. Letzteres betreffe u.a. Fliegenlarven, Blutegel und Plasmaprodukte, so Gibis.

In Richtung der Praxis-IT-Hersteller wies Gibis noch einmal nachdrücklich darauf hin, dass Direktzuweisungen von Verordnungen aus der Praxis an die Apotheke bis auf wenige Ausnahmen – in erster Linie Zytostatika – nicht erlaubt seien. Solche Direktzuweisungen stellten für den Arzt ein berufs- wie auch strafrechtliches Risiko dar, so Gibis: „Das erinnert ein bisschen an die Generikawerbung. Wir bitten, von solchen Geschäftsmodellen Abstand zu nehmen. Das ist nicht dienlich für den Eindruck, den wir gesamthaft erzeugen.“

Performance-Problemen soll es auf den Grund gehen

Positiv sei, dass es gelungen sei, Beschwerden der Ärzte über die Performance der TI und hier insbesondere der digitalen Signatur Gehör zu verschaffen, betonte Gibis.

Die KBV hatte im Sommer die durchschnittliche Dauer des digitalen Signiervorgangs bei den Praxen abgefragt. Rund ein Drittel hatte angegeben, dass es mehr als 25 Sekunden dauere. Das seien gefühlte Zeiten, so Gibis, aber unstrittig sei, dass sehr viele Praxen genervt seien.

Vor allem gibt es bei diesem Thema keinen Ansprechpartner, weil sich Praxis-IT-Unternehmen, Konnektorhersteller und gematik den Schwarzen Peter bisher gegenseitig zuschieben. Das soll anders werden: Die gematik hat sich des Themas angenommen. Sie will die Verzögerungen detailliert messen und nachverfolgen.

Die KBV werde hier ihren Part beitragen und stehe dazu in engem Austausch mit der gematik, betonte Gibis: „Wenn wir wollen, dass Digitalisierung läuft, dann müssen wir diese Kleinarbeit leisten.“

Und was ist mit der elektronischen Patientenakte?

Wer im Jahr 2023 über das digitale deutsche Gesundheitswesen redet, muss auch über die elektronische Patientenakte (ePA) reden. Sie existiert, aber weniger als ein Prozent der Versicherten hat sie bisher aktiviert, und kaum eine Praxis arbeitet damit.

Damit sich das ändert, will das Digitalgesetz den Übergang zu einer Opt-out-ePA in die Wege leiten, die Politik redet von „ePA für alle“. Sie soll zum einen für alle Versicherten, die nicht aktiv widersprechen, automatisch angelegt werden. Und sie soll dann auch von allen medizinischen Einrichtungen automatisch befüllt werden, was eine tiefe Integration in sämtliche Praxis-IT-Systeme und damit in den Praxisalltag impliziert.

Was es zur „ePA für alle“ schon konkret gibt, ist eine weitere Frist im Digitalgesetz, nämlich der 15. Januar 2025 für ihre Einführung. Seitens der Krankenkassen war bereits zu hören, dass man auch mit ein paar Monaten später gut leben könne. Mangiapane drückte es für die KBV in der ihm eigenen Art so aus: „Über die Terminschiene wird man noch mal nachdenken müssen.“

Zwei große Fragen

Die zwei großen Fragen, die sich bei der ePA derzeit stellen: Wie wird die parlamentarische Diskussion zu diesem Thema in den nächsten Wochen laufen? Und wie genau wird die neue ePA technisch und vor allem auch inhaltlich aussehen? Die Kassenärzte zumindest formulierten ihre Erwartungshaltung deutlich: Auf die Praxis-IT-Hersteller komme es an. „Das PVS wird den Unterschied machen, es wird noch wichtiger werden“, so Thomas Höll von der KV Nordrhein. Ganz so einfach ist es allerdings nicht.

Die erste ePA-Anwendung, die Medikationsliste, soll automatisch aus dem E-Rezept-Server befüllt werden. Ob das schnell geht oder nicht, wird auch von den Hintergrundsystemen bei der gematik abhängen. Jan Meincke von Medisoftware warnte in Berlin vor „40, 50, 60 Sekunden“. Performance wird über die digitale Signatur hinaus ein Thema bleiben, das jedenfalls steht schon fest.

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