Praxismanagement
Die Ermittlungsbehörden haben immer häufiger mit vermuteten Behandlungsfehlern zu tun. Ein Staatsanwalt erläutert, wie Ärztinnen und Ärzte Fehler vermeiden können – und sich Strafverfahren verhindern…
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Die Folgen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes oder die defizitäre Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens sind nur zwei der vielen Themen, die sich die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung auf die gesundheitspolitische Fahne geschrieben hat. Bekanntlich beißt sie – wie viele andere berufsständischen Vertretungen auch – bei Bundesgesundheitsminister Lauterbach oft auf Granit. Eine Umfrage unter der Zahnärzteschaft soll nun den Forderungen der KZBV Nachdruck verleihen. Kritik an der Umfrage muss sie sich aber gefallen lassen. Eine Analyse.
In ihrem Kampf für die Durchsetzung der gesundheitspolitischen Interessen der Vertragszahnärzteschaft hat die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) nun die nächste Stufe gezündet. Adressat ist natürlich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Denn Aktionen, wie die Kampagne „Zähne zeigen“ oder tageweise Praxisschließungen, haben den Genossen im Berliner Ministerium – euphemisierend gesagt – bis dato anscheinend nur wenig beeindruckt.
Nun hat die KZBV beim renommierten Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) eine repräsentative Online-Befragung unter der Vertragszahnärzteschaft in Auftrag gegeben. Ziel war es offensichtlich, die durch die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen sich stetig verschlechternde Stimmung bei den Kolleginnen und Kollegen in Praxen, Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und auch Kliniken einzufangen. Immerhin beteiligten sich laut KZBV und Zi 12,2 Prozent der Angeschriebenen an der Umfrage, die zwischen 18. April und 20. Mai dieses Jahr gelaufen ist. Das Durchschnittsalter der Teilnehmerinnen und Teilnehmer habe bei 53,8 Jahren gelegen, 82 Prozent von ihnen seien in einer Einzelpraxis tätig, 16 Prozent in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) und die übrigen in einem MVZ.
„Diese Befragung zeigt eindrucksvoll, dass unsere Forderungen nach weniger Bürokratie, nach einer tragfähigen Finanzierung, nach einer praxistauglichen Digitalisierung und nach Abschaffung der Mittelbegrenzung keine haltlosen Lobbyisten-Klagen sind, wie es Bundesgesundheitsminister Lauterbach wiederholt behauptet“, resümiert KZBV-Vorstandschef Martin Hendges. Und ergänzt: „Diese Ergebnisse spiegeln die ganz realen Probleme und Sorgen der Praxen wider. Wir haben Minister Lauterbach bereits frühzeitig Lösungsvorschläge unterbreitet. Seine Vorstellung der Problemlösung, nämlich ein Wechsel hin zu einem staatlich gelenkten Gesundheitssystem, wird keine Abhilfe schaffen. Im Gegenteil!“
So weit, so gut? Die Repräsentativität der Umfrage soll an dieser Stelle auch gar nicht in Zweifel gezogen werden. Durchaus als fragwürdig kann man aber die Aufbereitung der – auf der KZBV-Website veröffentlichten – Studienergebnisse sehen. Exemplarisch sei hier auf Frage 15 verwiesen: „Wenn ich heute noch einmal die Wahl hätte, würde ich mich wieder niederlassen“. Nur 42,1 Prozent der teilnehmenden Zahnärztinnen und Zahnärzte stimmten dieser Aussage zu. Hendges adressiert diese Frage zwar, konzediert in diesem Zusammenhang aber nicht, dass der Trend unter den Nachwuchszahnärzten – wie auch in der Humanmedizin – nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Work-Life-Balance immer stärker hin zur Anstellung statt Niederlassung geht. Das hat primär mit einem gewandelten Berufs- und Selbstverständnis zu tun, nur nachrangig mit den gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen.
Seitens der KZBV heißt es zu diesem Punkt aber: „Die Niederlassung in der eigenen Zahnarztpraxis hat offenbar stark an Attraktivität verloren. Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (58 Prozent) würden sich demnach heute nicht mehr niederlassen. Ein noch höherer Anteil (72 Prozent) überlegt, vorzeitig aus der Versorgung auszuscheiden. Dabei erachten nahezu 100 Prozent ihre Arbeit als sinnvoll und nützlich.“
Da Aspekte wie die Work-Life-Balance offensichtlich nicht abgefragt wurden, spitzt die KZBV die Aussagen der Umfrage einseitig zu: „Grund für die hohe Unzufriedenheit innerhalb der Zahnärzteschaft sind vor allem die aktuellen Rahmenbedingungen: Knapp 97 Prozent der befragten Zahnärztinnen und Zahnärzte fühlen sich durch die Vielzahl an bürokratischen Aufgaben überlastet, rund 81 Prozent sehen ihren Praxisablauf infolge einer praxisfernen Digitalisierung beeinträchtigt. Beide Faktoren führen zusammen mit einem sich verschärfenden Fachkräftemangel dazu, dass fast alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Zeit für ihre Kernaufgabe – die Patientenversorgung – eingeschränkt sehen.“
In einem eigenen Frageblock adressiert die Umfrage explizit die Folgen der durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) erfolgten Budgetierung. Drei Viertel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben an, von den Honorarkürzungen bereits betroffen zu sein. Zwangsläufig müssten die Praxen ihre Abläufe daher anpassen, was bei 87 Prozent bereits sogar zu Einschränkungen in der Patientenversorgung führe. Längere Wartezeiten auf einen Termin seien die Folge. Mit einer Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage noch in diesem Jahr rechneten fast 90 Prozent.
Hintergrund ist, dass die im Juli 2021 eingeführte neue, präventionsorientierte Parodontitis-Behandlungsstrecke nach jahrelangem Einsatz der Zahnärzteschaft für diese Errungenschaft endlich das Ziel verfolgen sollte, die Volkskrankheit Parodontitis nachhaltig zu bekämpfen. KZBV-seitige Auswertungen von Abrechnungsdaten belegten aber bereits einen dramatischen Einbruch der Neubehandlungsfälle bei dieser Therapiestrecke: Allein im November 2023 seien die Neubehandlungen im Vergleich zum Vorjahresmonat um fast ein Drittel zurückgegangen, bei einer weiterhin unverändert hohen Krankheitslast. Grund für die rückläufige Zahl neuer Behandlungsfälle sei die Budgetierung, die die auf drei Jahre angelegte PAR-Strecke in vielen Praxen als nicht mehr wirtschaftlich erbringbar darstelle.
Ohne das sich noch im parlamentarischen Verfahren befindliche Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) beim Namen zu nennen, adressiert Hendges dieses bei seinem Appell an den Minister, das Ruder jetzt doch noch herumzureißen. Ursprünglich war KZBV-seitig erwartet worden, via GVSG gehe der Gesetzgeber die versprochene Regulierung investorengeführter Medizinischer Versorgungszentren (iMVZ), die Entbürokratisierung im Gesundheitswesen sowie die Aufhebung der Budgetierung der Parodontitisbehandlung durch das GKV-FinStG an. Diese Erwartungshaltung ist derzeit – gelinde gesagt – mehr als stark gedämpft.
Daher verweist die KZBV bei der Bewertung der Umfrageergebnisse auch darauf, dass sich fast drei Viertel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereits jetzt „ausgebrannt“ fühlten, zumal sie immer mehr Patientinnen und Patienten von Praxen übernehmen müssten, die aufgeben bzw. ihre Arbeitszeit reduzierten. Zudem sähen 97 Prozent keine angemessene Wertschätzung ihrer Arbeit durch die Politik. Hendges Warnung an die gesundheitspolitischen Akteure: „Mein Blick geht sorgenvoll in die Zukunft. Wenn sich so viele Kolleginnen und Kollegen am Limit sehen und mit dem Gedanken spielen, vorzeitig aus der Patientenversorgung auszusteigen, ist das ein eindeutiger Beweis für schlechte Rahmenbedingungen und damit auch nicht der dringend notwendige Anreiz für den zahnärztlichen Nachwuchs sich niederzulassen.“ 90 Prozent befürchten daher auch laut Stimmungsbarometer, keine geeignete Nachfolge für die Praxis zu finden.
„Gerade aber die selbstständig und freiberuflich tätigen Zahnärztinnen und Zahnärzte bilden das Fundament einer flächendeckenden, wohnortnahen und qualitativ hochwertigen zahnärztlichen Versorgung. Mit einer durch staatszentrierte Großstrukturen organisierten Versorgung wird es nicht funktionieren, das bewährte Versorgungsniveau aufrechtzuerhalten. Die Unabhängigkeit von Weisungen und Interessen Dritter sowie die fachliche Entscheidungsfreiheit im Rahmen der Berufsausübung machen den Kern der Freiberuflichkeit aus“, betont Hendges und fordert daher von der Politik gute und verlässliche Rahmenbedingungen für die inhabergeführten Praxen. Daran führe kein Weg vorbei. In einigen Regionen zeige sich bereits heute exemplarisch, wie schlecht es um die wohnortnahe zahnärztliche Versorgung bestellt sei. Aber selbst dort, wo auf dem Papier aktuell noch eine gute Versorgungslage vorherrsche, dürfte es künftig eng werden – wenn die Politik nicht umgehend gegensteuere.
Nicht aufgegriffen hat die KZBV bei der Kommunikation der Umfrageergebnisse zwei für die Inhaber vertragszahnärztlicher Praxen essenzielle Punkte – das Kassenhonorar sowie die wesentlich auf der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) basierende Privatliquidation. So stimmen – eigentlich wenig überraschend – 91,6 Prozent der Aussage nicht zu, innerhalb der GKV würden die Leistungen in der Patientenversorgung durch den BEMA angemessen honoriert.
Die stockende GOZ-Novellierung ist eine große Baustelle der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), nicht der KZBV. Aber immerhin stimmen 91,7 Prozent der Umfrageteilnehmer nicht der Aussage zu, wonach ihre privatzahnärztlichen Leistungen in der Patientenversorgung durch die GOZ angemessen honoriert würden.
Balsam für die KZBV-Seele: Ihre gesundheitspolitischen Kernforderungen, wie die obengenannte Entbudgetierung, die iMVZ-Regulierung etc. treffen bei den Umfrageteilnehmern durchweg auf nahezu sozialistisch anmutende Zustimmungswerte. Mit 96,7 Prozent am zweitschwächsten ausgeprägt ist hierbei die Zustimmung zur KZBV-Forderung nach der Gewährleistung einer verlässlichen Finanzierung, die auch in der vertragszahnärztlichen Versorgung insbesondere Inflation und Kostensteigerungen unmittelbar berücksichtigt.
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