Zahntraumata: Warum die fünfthäufigste Erkrankung der Welt unter dem Radar fliegt

Zahntraumata sind weit verbreitet, werden aber erstaunlicherweise oft übersehen. Da die Prognose stark von sofortigem Handeln, einer genauen Diagnose und einer fachkundigen Behandlung abhängt, ist es unerlässlich, dass Zahnärzte über das Fachwissen und die Strategien verfügen, um Zahntraumata zu behandeln. Hier erfahren Sie, wie Sie sich der Herausforderung stellen und positive Ergebnisse für Ihre Zahntrauma-Patienten erzielen.

Was sind Zahntraumata?

Zahntraumata sind körperliche Verletzungen der Zähne, ihrer Stützstrukturen und/oder der Weichteile der Mundhöhle. Gemäß der 11. Ausgabe der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lassen sich Zahntraumata hauptsächlich in zwei Hauptgruppen einteilen:

1. Verletzung von Zahnhartgewebe und Zahnmark:

  • Schmelzverletzung – unvollständige Schmelzfraktur
  • Schmelzfraktur – vollständige Fraktur, die auf den Schmelz beschränkt ist
  • Schmelz-Dentin-Fraktur – vollständige Fraktur, die auf den Schmelz und das Dentin beschränkt ist
  • Komplizierte Kronenfraktur – vollständige Fraktur, die Schmelz und Dentin mit Pulpaexposition umfasst
  • Unkomplizierte Kronenwurzelfraktur – vollständige Fraktur, die Schmelz, Dentin und Zement ohne Pulpaexposition umfasst
  • Komplizierte Kronen-Wurzel-Fraktur – vollständige Fraktur, die Schmelz, Dentin und Zement betrifft und bei der die Pulpa freiliegt
  • Wurzelfraktur – vollständige Fraktur, die Dentin, Zement und Pulpa betrifft

    2. Verletzung von parodontalem Gewebe:
  • Erschütterung von parodontalem Gewebe – Verletzung der zahnstützenden Strukturen ohne abnormale Lockerung oder Verschiebung der Zähne
  • Subluxation des Zahns – Verletzung der zahnstützenden Strukturen mit abnormaler Lockerung, aber ohne Verschiebung der Zähne
  • Extrusionsluxation des Zahns – periphere Dislokation und teilweise Verlagerung des Zahns aus seiner Alveole
  • Laterale Luxation des Zahns – nicht axiale Verlagerung des Zahns, begleitet von einer Alveolenfraktur
  • Intrusionsluxation des Zahns – zentrale Dislokation und Verlagerung des Zahns in den Alveolarknochen, begleitet von einer Alveolenfraktur
  • Avulsion des Zahns – vollständige Verlagerung des Zahns aus seiner Alveole
  • Verletzungen des Ober- oder Unterkiefers und Verletzungen der Mundschleimhaut werden getrennt klassifiziert.

Die tatsächliche Häufigkeit von Zahntraumata

Die tatsächliche Häufigkeit von Zahntraumata war in der Vergangenheit schwer zu ermitteln. Die ICD-11 der WHO ist nur eines von mehr als 50 Systemen, die weltweit im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der klinischen Forschung zur Klassifizierung, Erfassung und Meldung von Krankheiten und Verletzungen, einschließlich Zahntraumata, eingesetzt werden. Die Unterschiede zwischen den Systemen haben dazu geführt, dass Zahntraumata uneinheitlich, falsch oder gar nicht gemeldet werden. Wäre dies nicht der Fall, würden traumatische Zahnverletzungen in der Global Burden of Disease (GBD)-Studie auf Platz fünf der Liste der 300 häufigsten akuten und chronischen Krankheiten und Verletzungen stehen. Derzeit sind traumatische Zahnverletzungen in dieser Liste überhaupt nicht enthalten. Mit dem Erfolg einer kürzlich durchgeführten Kampagne zur Aktualisierung des ICD-11 der WHO, die es mit dem weit verbreiteten Andreasen-Klassifizierungssystem in Einklang bringt, wurden jedoch einige Fortschritte erzielt.

Experten sind sich einig, dass Zahntraumata bei Kindern und jungen Erwachsenen sehr häufig auftreten, häufiger im bleibenden als im Milchgebiss. Zahntraumata machen etwa 5 % der Verletzungen aller Altersgruppen aus, bei Kindern im Alter von 0 bis 6 Jahren sogar bis zu 17 %.

Weltweit hat ein Drittel aller Vorschulkinder ein Zahntrauma an den Milchzähnen erlitten, während ein Viertel aller Kinder im Schulalter und fast ein Drittel aller Erwachsenen ein Zahntrauma an den bleibenden Zähnen erlitten haben. Bis zu 90 % der Zahnverletzungen treten vor dem Alter von 19 bis 20 Jahren auf, wobei Untersuchungen darauf hindeuten, dass die 10- bis 14-Jährigen das größte Risiko haben.

Die Prävalenz variiert je nach Region, ist jedoch weltweit nach wie vor hoch. Eine nationale Umfrage in den USA ergab, dass jeder Vierte im Alter von 6 bis 50 Jahren ein Zahntrauma erlitten hatte. In Großbritannien hatte jedes fünfte Kind im Schulalter ein Zahntrauma an den bleibenden Frontzähnen erlitten. In einer dänischen Studie, in der Zahntraumata von Geburt an katalogisiert wurden, erlitten 30 % der Kinder Zahntraumata an den Milchzähnen und 22 % an den bleibenden Zähnen, wobei jedes Kind bis zum Alter von 14 Jahren eine solche Verletzung erlitt. In Australien liegt die jährliche Inzidenzrate bei 20 TDIs pro 1000 Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren, während die jährliche Inzidenzrate in Schweden auf 19 bis 29 Zahntraumata pro 1000 Personen geschätzt wird.

Sowohl bei den Milchzähnen als auch bei den bleibenden Zähnen betreffen Zahntraumata am häufigsten die Oberkieferzähne, insbesondere die Schneidezähne, da diese aufgrund ihrer Position und Neigung im vorderen Mundbereich besonders gefährdet sind. Luxationsverletzungen sind die häufigsten Traumata bei Milchzähnen, während Kronenfrakturen – insbesondere Ellis-Frakturen der Klasse IV, bei denen der Zahn nicht mehr vital ist – die häufigste Verletzung bei bleibenden Zähnen sind. Die am häufigsten gemeldete Begleitverletzung ist ein Trauma der Weichteile im Mund. Ein kompletter Zahnausriss tritt bei 1–16 % der Zahntraumata bei bleibenden Zähnen und bei 7–13 % bei Milchzähnen auf.

Ursachen und Risikofaktoren von Zahntraumata

Die häufigsten Ursachen für traumatische Zahnverletzungen sind Berichten zufolge Stürze und Sportverletzungen, während Radunfälle, Verkehrsunfälle und körperliche Gewalt weniger häufige Ursachen sind.

Kinder in der am stärksten gefährdeten Altersgruppe (10–14 Jahre) neigen dazu, häufiger als jüngere Kinder Sport zu treiben und Aktivitäten im Freien nachzugehen, und zwar möglicherweise ohne Aufsicht eines Erwachsenen. Bei jüngeren Kindern besteht das Hauptrisiko in Stürzen aufgrund mangelnder motorischer Kontrolle und Koordination.

Bei Kindern ist die Wahrscheinlichkeit, ein Zahntrauma zu erleiden, bei Jungen etwa doppelt so hoch wie bei Mädchen.

Dies lässt sich dadurch erklären, dass Jungen in vielen sozialen und kulturellen Kontexten eher als Mädchen dazu neigen, sich anspruchsvollen körperlichen Aktivitäten, aggressivem Spiel und Kontaktsportarten zu widmen. Bei jüngeren Kindern gibt es deutlich weniger geschlechtsspezifische Unterschiede, was offensichtlich darauf zurückzuführen ist, dass es in diesem Stadium kaum Unterschiede zwischen ihren Fähigkeiten und Verhaltensweisen gibt.

Andere prädisponierende Faktoren für Zahntraumata hängen mit den anatomischen Merkmalen des Patienten zusammen. Ein erhöhter Overjet, eine unzureichende Lippendeckung und eine Klasse-II-Okklusion wurden alle als Risikofaktoren für traumatische Verletzungen der Frontzähne genannt.

Die Bedeutung einer schnellen Diagnose und Behandlung

Zahntraumata können weitreichende Komplikationen verursachen, die über das unmittelbare Schmerz- und Infektionsrisiko hinausgehen. Der Patient kann eine Pulpanekrose, eine Obliteration des Pulpenkanals, eine ankylotische oder entzündliche Wurzelresorption, eine Schädigung der Stützstrukturen und in einigen Fällen einen vollständigen Verlust der betroffenen Zähne erleiden.

Im Milchgebiss können Zahntraumata auch zu Schmelzhypoplasie, Verfärbung, verzögertem Zahndurchbruch, Impaktion und Schäden am sich entwickelnden bleibenden Gebiss führen. Komplikationen können unmittelbar nach der Verletzung auftreten, während andere erst nach Jahren auftreten können. Zahntraumata können auch die Gesichtsästhetik verändern und die Sprache und Ernährung beeinträchtigen. Insbesondere bei Kindern kann dies die psychosoziale Entwicklung, das emotionale Wohlbefinden, das Selbstvertrauen und die Lebensqualität beeinträchtigen.

Vor diesem Hintergrund sind eine genaue Diagnose, Behandlung und Nachsorge von Zahnverletzungen für eine positive Prognose unerlässlich. Da Zahnverletzungen jedoch eine herausfordernde Präsentation darstellen, die in der täglichen allgemeinen Praxis nicht häufig vorkommt, könnten viele Zahnärzte von einer Weiterbildung und regelmäßigen Überprüfung der Behandlungsprotokolle für Zahnverletzungen profitieren. Die International Association of Dental Traumatology (IADT) hat eine umfassende Reihe von Best-Practice-Leitlinien für die Behandlung und das Management von Zahnunfällen veröffentlicht. Im Folgenden wird eine Auswahl ihrer wichtigsten Empfehlungen zusammengefasst, wir empfehlen Zahnärzten jedoch, die Leitlinien vollständig zu lesen.

Klinische Untersuchung

Obwohl die Verwendung von Röntgenbildern immer sorgfältig abgewogen und begründet werden sollte, ist es wichtig zu beachten, dass einige schwere Verletzungen, wie Zahnwurzel- und Knochenbrüche, ohne klinische Anzeichen oder Symptome auftreten können. Außerdem kann es sein, dass der Patient erst dann vorstellig wird, wenn die klinischen Anzeichen abgeklungen sind. Die IADT weist darauf hin, dass bei Wurzelfrakturen, Kronen-/Wurzelfrakturen und lateralen Luxationen die CT-Aufnahme besonders nützlich sein kann, um die Lage, das Ausmaß und die Richtung einer Fraktur zu bestimmen.

Zustand und Vitalität der Pulpa

Es sollte alles unternommen werden, um die Pulpa zu erhalten, insbesondere bei unreifen bleibenden Zähnen, um eine kontinuierliche Wurzelentwicklung und Apexbildung zu ermöglichen. Bei Frakturen und Luxationen sollte die Sensibilität so schnell wie möglich mit einem Kältetest und einem elektrischen Pulpentest beurteilt und bei der Nachsorge erneut überprüft werden. Die Vitalität sollte mithilfe von Pulsoximetrie oder Laser-/Ultraschall-Doppler-Durchflussmessung beurteilt werden.

Ausriss von Zähnen

Bei einem Ausriss eines bleibenden Zahns hängen Behandlung und Prognose weitgehend von der Reife der Wurzel und der Lebensfähigkeit des parodontalen Ligaments ab. Das Erste-Hilfe-Protokoll sieht vor, dass der Zahn entweder in die Alveole replantiert oder in einem geeigneten Aufbewahrungsmedium, z. B. Milch, Kochsalzlösung, Speichel oder einer Zahnrettungsbox, aufbewahrt wird. Wenn der Zahn innerhalb von 15 Minuten replantiert wird, sind die Zellen des parodontalen Ligaments höchstwahrscheinlich lebensfähig. Bei einer sachgemäßen Aufbewahrung bis zu 60 Minuten ist mit einer gewissen Beeinträchtigung der parodontalen Ligamentzellen zu rechnen. Nach 60 Minuten sind die Zellen jedoch wahrscheinlich nicht mehr lebensfähig, unabhängig davon, ob sie aufbewahrt wurden oder nicht. Da Zahnunfälle außerhalb der zahnärztlichen Umgebung geschehen, hängt die Prognose von einem schnellen, angemessenen Handeln des Patienten, des Vormunds oder des Ersthelfers ab.

Es herrscht allgemein Einigkeit darüber, dass ein avulsierter Milchzahn nicht replantiert werden sollte, da die Behandlung für das Kind belastend ist, das Risiko einer Schädigung des permanenten Zahnkeims besteht und die Gefahr einer Zahnaspiration besteht.

Verletzungen von Milchzähnen

Die Wurzelspitze des Milchzahns und der Keim des bleibenden Zahns liegen in unmittelbarer Nähe zueinander. In früheren Leitlinien wurde die sofortige Extraktion des Milchzahns empfohlen, wenn die Wurzel in Richtung des Keims verschoben ist. Die IADT rät jedoch inzwischen davon ab, da es Hinweise darauf gibt, dass dies zu weiteren Schäden am Keim führen kann.

Stress und Angst

Die Behandlung von Zahntraumata bei Kindern kann aufgrund der Angst und der Unfähigkeit des jungen Patienten, mit dem Stress umzugehen, kompliziert sein. Zahnärzte sollten auch bedenken, dass dies möglicherweise eine der ersten zahnärztlichen Begegnungen des Kindes ist. Angesichts der schwierigen Umstände sollte das Risiko des Auftretens von Zahnarztangst berücksichtigt werden. Die IADT weist darauf hin, dass die Untersuchungstechnik „Knie-zu-Knie“ bei kleineren Kindern hilfreich sein kann, und empfiehlt, dass das Kind von einem spezialisierten pädiatrischen Team mit Erfahrung in der Minimierung von Schmerzen und Stress bei jungen Patienten nachuntersucht wird.

Die Herausforderung, Zahntraumata zu verhindern

Es liegt in der Natur der Sache, dass es schwierig ist, Zahntraumata vorherzusagen oder vollständig zu verhindern. Zahnärzte können jedoch helfen, indem sie das Bewusstsein für häufige Risikofaktoren für Zahntraumata schärfen. Bei jüngeren Kindern kann dies die Aufklärung der Eltern über häufige Ursachen von Zahntraumata und vorbeugende Maßnahmen wie die sichere Verwendung von Lauflernhilfen, sicheres Spielverhalten und angemessenen Kopf-/Gesichtsschutz bei Spielaktivitäten umfassen. Da eine beträchtliche Anzahl von Zahntraumata bei sportlichen Aktivitäten auftritt, können Sportler ihr Risiko durch die Verwendung von Mundschutz verringern, während Eltern, Lehrer und Trainer die Verwendung durch Kinder fördern oder vorschreiben können. In Australien, wo Sportverletzungen fast 40 % der Zahntraumata ausmachen, führt die New South Wales-Abteilung der Australian Dental Association die Kampagne „Game On“ durch, um diese Praxis zu fördern. Zahnärzte können sich auf ähnliche Weise an ähnlichen lokalen Kampagnen beteiligen und Partnerschaften mit örtlichen Sportmannschaften, Schulen und Sportverbänden für Schüler eingehen.

Auch wenn wir eine traumatische Zahnverletzung nicht verhindern können, können wir die Prognose verbessern, indem wir das Bewusstsein dafür schärfen, wie man angemessen reagiert. Da die meisten traumatischen Zahnverletzungen bei Kindern zu Hause und in der Schule auftreten, müssen Eltern und Lehrer speziell darin geschult werden, wie sie mit einer traumatischen Zahnverletzung richtig umgehen.

Im Folgenden finden Sie Beispiele dafür, wie Zahnärzte das Bewusstsein fördern und zur Vorsorge ermutigen können:

  • Durchführung von Medienkampagnen.
  • Bereitstellung von Bildungsressourcen für zu Hause und den Unterricht, wie z. B. die „Save Your Tooth“-Poster der IADT.
  • Zusammenarbeit mit Erste-Hilfe-Anbietern in Bezug auf bewährte Verfahren und Angebot von Schulungen in Schulen oder Gemeinden.
  • Bereitstellung von Zahnrettungssets für Schulen und Sportvereine oder sichtbare Bereitstellung in der Praxis.
  • Verweis von Patienten, Eltern, Erziehern und Erziehungsberechtigten auf die kostenlose ToothSOS-App der IADT, die Notfallhilfe bei zahnärztlichen Notfällen bietet (verfügbar für iPhone und Android).

Obwohl wir in der Praxis nicht jeden Tag mit Zahntraumata konfrontiert sind, bedeutet die hohe Prävalenz, dass ein Zahntrauma nie weit entfernt ist. Indem Sie proaktiv das Bewusstsein schärfen und sich mit bewährten Behandlungsprotokollen ausstatten, können Sie sicherstellen, dass Sie bei einem Zahntrauma bereit sind, das bestmögliche Ergebnis für Ihren Patienten zu erzielen.

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